Professor Siegfried Lokatis über das Leipziger Bibliotop und dessen ungewisse Zukunft „Das Bibliotop ist nicht nur schön, sondern vor allem ein historisches Forschungslabor“

Im Internet kursiert ein YouTube Film, in der Professor Siegfried Lokatis, der Lehrstuhlinhaber der Leipziger Buchwissenschaft, sein Leipziger Bibliotop vorstellt. Aus dessen Sammlung wird auch die jährliche BuWision  bestückt, mit der seine StudentInnen (diesmal allerdings nur digital) jeweils zur Buchmesse die Highlights der Sammlung in der Innenstadt sichtbar machen – aber das wohl zum letzten Mal im kommenden Jahr. Das war Anlass für unser heutiges „Sonntagsgespräch“: 

Professor Siegfried Lokatis: „Buchreihen wie die Inselbücherei, Die Andere Bibliothek, die Naturkunden, Salto von Wagenbach oder die von Galiani ja kein Selbstzweck, sondern sie demonstrieren die überlegene Schönheit des analogen Buches“ (durch Klick zum Film über das Bibliotop)

Herr Professor, ein Buch über die gesuchten „Inselbuch-Plakate“, die Ihre StudentInnen jährlich aus der im Bibliotop erhaltenen Sammlung der Insel-Bücherei erstellen, hat zu einer hinreißenden Rezension in der FAZ  geführt. Andreas Platthaus schwärmte, „ein Prachtband versammelt Leipziger Inselplakate.“ 

Siegfried Lokatis: Ja, und die Rezension hat gewirkt. Es wurden sehr viele Inselplakate bestellt, und nur das Buch dazu war in den Läden kaum zu bekommen. Ein kleiner Leipziger Independent-Verlag wie die Edition Hamouda ist im Buchhandel ja nicht leicht präsent und mit diesem Erfolg hatte keiner so schnell gerechnet.

Lag das nicht eher daran, dass Ihre BuWision diesmal nur digital stattgefunden hat?

Die ist aber Dank Ihrer Ankündigung im BuchMarkt recht gut gelaufen, bisher über 5500 Klicks sind für die kleine Buchwissenschaft nicht schlecht. Da schien freundlich noch einmal für uns die Abendsonne, aber zur Buchmesse 2022 bauen wir  –  digital oder analog –  diese Ausstellung wohl zum letzten Mal in der Leipziger City auf.

Warum zum letzten Mal?

Danach höre ich an der Uni auf. Es ist toll und für Insider sehr überraschend, dass die Buchwissenschaft anschließend überhaupt erhalten bleibt, aber sie wird jedenfalls ganz anders ausgerichtet, mehr in die digitale Richtung, wie es wohl heute einem Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft mehr entspricht.

Und was wird dann aus dem Bibliotop?

Wer das wüsste! Aber ich finde, dass es irgendwie auch nach meiner Zeit bewahrt zu werden verdient. Es hat ja nicht nur an der Uni inzwischen viele FreundInnen gefunden. Irgendwann kommt sowieso alles in die Uni Bibliothek. Schlimm daran wäre nur, wenn die UB die Buchreihen auflösen und nach ihrer Ordnung umsortieren, mit Signaturen bekleben und die Doubletten entsorgen müsste.

Das sprechen Sie im Film ja auch an. Auch das war für mich Anlass für dieses Gspräch heute, denn darüber habe sich bestimmt nur wenige bisher Gedanken gemacht, ich schon mal gar nicht. 

Dabei sind Buchreihen wie die Inselbücherei, Die Andere Bibliothek, die Naturkunden, Salto von Wagenbach oder die von Galiani ja kein Selbstzweck, sondern sie demonstrieren die überlegene Schönheit des analogen Buches. Sie standen auch für lebendigste Beziehungen nach Berlin. Für unsere Buchwissenschaft wurde die deutsche Verlagshauptstadt nicht zuletzt dadurch eine Art Vorhof von Leipzig, dort gibt es ja seltsamerweise auch keine eigene historisch gerichtete Buchwissenschaft.

Andererseits fehlen in Leipzig längst die richtig großen Verlage.

Ja, während sich die Buchwissenschaft in Mainz auf Frankfurt, die Buchwissenschaft in München auf so viele große Verlage stützen kann, verlor Leipzig 2009 Brockhaus und Insel, davor auch Reclam, dessen Archiv wir zurückholen und erforschen konnten. So kam es ja überhaupt erst zur Gründung des Bibliotops. 

Das ein strahlendes Juwel ist.

Aber es ist nicht nur schön, sondern vor allem ein historisches Forschungslabor. Die Forschung darin zur Zensur in der DDR konnte ich pünktlich abschließen. Mir war zuletzt vor allem das Thema wichtig, wie man eigentlich die vielen Zensur- und Verlagsgutachten in der DDR, die „Argusaugen der Zensur“ interpretieren sollte, ca. eine halbe Million in den Archiven ruhender Texte, die nur mit Hilfe der jetzt noch lebenden Zeitzeugen und von Forschern verschiedener Disziplinen zu entschlüsseln sind.

Gibt es Themen, die sie noch unerledigt auf dem Zettel haben?

Demnächst, das geht ja auch nach der Rente, forschen wir noch über den Volksbuchhandel der DDR, über S.Fischer und die Verlagsgeschichte der frühen Bundesrepublik, speziell zu den beschwiegenen Kontinuitäten der NS-Zeit, auch das geht leicht mit den Beständen des Bibliotops.

Erklären Sie mir beschwiegene Kontinuitäten

Das sind die vielen personellen, strukturellen, programmatischen Kontinuitäten in der Geschichte so mancher Verlage, über die aber lieber geschwiegen wird. Aus meiner Sicht ist das sogar der Hauptgrund, weshalb die Verlagsgeschichte der BRD noch nicht angefangen wurde, dass die Festschriften vornehm über die 12 Jahre schweigen, dass die Archive solange geschlossen blieben.

Inzwischen ist auch das Archiv des Frankfurter Börsenvereins in das Leipziger Buch- und Schriftmuseum gewandert …

… so dass eigentlich nirgendwo besser als hier auch zur westdeutschen Verlagsgeschichte geforscht werden könnte. Die spannende Frage ist nur, wer das dann macht, wenn unsere Buchwissenschaft demnächst ganz auf das digitale Buch ausgerichtet sein wird.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

Kommentare (1)
  1. Was gäbe es denn in Zukunft am „digitalen“ Buch zu erforschen? Die Universität ist nicht dazu da, die Berufsausbildung zum Medienkaufmann zu ersetzen. Und wer nicht weiß, wie das „klassische“ Buchgewerbe in der Vergangenheit und aktuell funktioniert/hat, der wird im „digitalen“ Gewerbe nie erfolgreich sein können. Sagt ein ausgebildeter „klassischer“ Verlagskaufmann, der noch die richtige Buchwissenschaft studiert hat und jetzt im digitalen Gewerbe unterwegs ist.

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