Das Sonntagsgespräch Reintje Gianotten und Victor Schiferli vom Nederlands Letterenfonds: Gastlandauftritt in Frankfurt wird ein Knüller!

Reintje Gianotten und Victor Schiferli sind wahrscheinlich die bekanntesten Niederländer in der deutschsprachigen Verlagsbranche. Seit Jahren sind sie auf den Buchmessen der Welt unterwegs, um den diesjährigen Gastlandauftritt von Flandern und den Niederlanden in Frankfurt vorzubereiten.

Was sie alles getan haben, um niederländischsprachige Literatur nach Deutschland, Österreich und die Schweiz zu bringen, verraten sie uns hier im Sonntagsgespräch.

BuchMarkt: Bei den letzten Leipziger und Frankfurter Buchmessen hatte man irgendwie den Eindruck, daß ihr in allen Hallen gleichzeitig unterwegs seid. Wie erfolgreich war eure Tätigkeit, deutschsprachige Verlage für niederländische Literatur zum diesjährigen Schwerpunktthema zu begeistern?

Reintje Gianotten: Wir haben gemerkt, daß die deutschen Verleger für schöne Bücher zu haben sind, egal, welches Genre: Anthologien, klassische Autoren und junge Debütanten – alles wurde mit Interesse betrachtet. Außerdem verstehen sich deutsche Verleger besonders gut darauf, wie man Verbindungen zwischen eigenen deutschen, niederländischen und anderen übersetzten Autoren knüpfen kann.

Victor Schiferli, Reintje Gianotten

Ist der Nederlands Letterenfonds so etwas wie die verlängerte Lizenzabteilung der Verlage?

Victor Schiferli: Im Gegenteil. Wir arbeiten unabhängig, informieren aber ein breites Spektrum ausländischet Verlegern über niederländische Bücher. Wir verkaufen keine Rechte, wir helfen den Verlegern, den für sie passenden Titel zu finden. Dabei können wir dafür sorgen, daß der Verleger weiß, wie man den richtigen Rechtemanager oder Agenten erreicht. Der Letterenfonds hat, zusammen mit dem flämischen Literaturfonds, auch eine gute Online-Übersetzerdatenbank www.vertalingendatabase.nl. Jeder kann dort nachsehen, was in welcher Sprache bereits übersetzt worden ist. Und: Wir informieren Verleger natürlich über geeignete Übersetzer.

Was genau ist eigentlich der Letterenfonds? So etwas wie der Deutsche Literaturfonds?

Reintje Gianotten: Keine Ahnung, was der deutschen Fonds ganz genau macht. Wir informieren, empfehlen Bücher, vergeben Fördermittel und unterstützen die Verlage bei der Werbung rundum die Veröffentlichung eines Buches. Wir denken sozusagen mit den Verlegern mit.

Ihr habt Verlegerreisen nach Amsterdam und Antwerpen organisiert. Wie war die Resonanz?

Reintje Gianotten: Die Verleger sind unsere allererste Zielgruppe. Jedes Jahr treffen die Mitarbeiter beider Fonds die Verleger auf zahlreichen Buchmessen, wo es dann die üblichen Halbstundentermine gibt. Lädt man aber die Verleger ein, nach Amsterdam und Antwerpen zu kommen, lässt sich mehr besprechen.

Victor Schiferli: Dann steht die gesamte Breite des literarischen Angebots zur Verfügung. Die Letterenfonds-Mitarbeiter haben zusammen mit dem F16-Team (F16 ist die interne Abkürzung für den Gastlandauftritt 2016 – d. Red.) für jede der fünf Reisen Programme für eine Gruppe von zehn Verlegern ausgearbeitet. Die Verleger haben in den niederländischen und flämischen Verlagen Lektoren, Verleger, Rechtemanager und Autoren getroffen, Informationen über die Branche erhalten, Übersetzer kennengelernt – und sie hatten Speeddates mit wieder anderen Verlegern und Agenten. Das alles wurde natürlich kulinarisch reichlich umrahmt…

Reintje Gianotten: Während der informellen Kontakte – wenn man an seinem Brötchen knabbert, auf den Bus wartet, durchs Museum läuft oder von einem Verlag zum anderen schlendert – ergeben sich die schönsten Gespräch über Bücher. Dann redet man über das eine Buch, das zur eigenen Überraschung noch immer keinen Verleger gefunden hat, und hört, wonach ein deutscher Verleger intensiv sucht.

Victor Schiferli: Ja, es wurden viele Titel während und nach diesen Reisen angekauft. Das Wichtigste aber ist, daß das Netzwerk stabiler geworden ist, daß viele neue Verleger und Lektoren zusammengekommen sind und wir jetzt schon wissen, daß die Leute auch nach dem Oktober 2016 noch Interesse für unsere Literatur haben werden.

Und die Workshops für Übersetzer in Berlin und München?

Victor Schiferli: Bei drei verschiedenen Workshops sind die Übersetzer unter Anleitung eines „alten Hasen“ tätig geworden. Es war so anregend, daß sie gar nicht mehr aufhören wollten und wir die Übersetzer förmlich in den Speisesaal schleifen mußten. Klassische Texte, Gegenwartsliteratur sowie Kinder- und Jugendliteratur wurden bis ins letzte Detail besprochen.

Reintje Gianotten: Diesmal waren mehr Verleger eingeladen, um ihnen die Literatur in einer breiteren Perspektive zu präsentieren. Prof. Jan Konst hat das in beiden Städten mit Sachkunde und viel Humor getan. Übersetzer schreiben oft Gutachten und empfehlen Autoren – sie sind Schlüsselfiguren im Auswahlprozess der Verleger.

Kann man schon sagen, wie viele Neuerscheinungen aus Flandern und den Niederlanden es zur Frankfurter Buchmesse geben wird?

Boekenwurm – versteht man doch. Wagenbach- Plakat zum Gastlandthema

Reintje Gianotten: Im Moment kommen viele Bücher heraus: Im März und April sind beim Letterenfonds jeden Tag Belegexemplare eingetroffen. Wagenbach hat den Vogel abgeschossen und auf einen Schlag sechs Titel gebracht: die Debütantin Wytske Versteeg mit ihrem Roman Boy und eine Neuübersetzung von Harry Mulischs Schwarzes Licht. Dazu vier Bücher, die schon vor kurzem erschienen sind: von Andreas Burnier, Anna Enquist, Marcel Möring und Cees Nooteboom. Prächtig ausgestattet, und auf dem Plakat für den Buchhandel steht sogar niederländischen Text. Das ist Schneid!

Victor Schiferli: Unsere Liste mit „Büchern in Vorbereitung“ wird also kürzer, aber zum Glück kommen immer wieder neue Titel dazu. Momentan stehen rund 250 Titel darauf.
Es geht aber nicht um die Menge, es geht darum, Interesse an niederländischsprachige Autoren zu wecken. Suhrkamp bringt das Werk von Nescio (einem der modernen Klassiker der niederländischen Literatur – d. Red.), zur gleichen Zeit erscheint im August-Schreibheft ein Dossier zu Nescio. Und es gibt bei edition fünf die hervorragende Anthologie Wär mein Pferd doch ein Klavier, aber es sind noch mehr Anthologien geplant …

Ihr beide habt – das war in der Zusammenarbeit mit euch deutlich zu merken – Kontakte in die deutsche Buchbranche, um die euch mancher Journalist beneiden dürfte. Werdet ihr diese Art der persönlichen Literaturvermittlung auch nach dem Schwerpunktthema fortführen?

Reintje Gianotten: Gute Kontakte bleiben, und interessierte Verleger wissen immer, wo man die Fonds findet, ob es nun altgediente Häuser wie Suhrkamp oder Hanser sind oder die neue Generation bei btb und Wagenbach…

Superstars wie A.F.Th. van der Heijden, Cees Nooteboom, Leon de Winter, Margriet de Moor u.a. haben in Deutschland seit Jahren ein treues Lesepublikum, von den modernen Klassikern wie F.W. Hermans ist nur wenig, von Gerard Reve so gut wie gar nichts bekannt. Wie kommt das?

Reintje Gianotten: Leider sind die modernen Klassiker nicht immer gut übersetzt worden, aber jetzt sind die Verleger daran interessiert, gute und zuverlässige Übersetzer zu beauftragen. Weil das in der Vergangenheit nicht jeder Verleger so gehandhabt hat, gab es Autoren, die nicht übersetzt werden wollten. Doch ist die Herausgabe toter Autoren eine Kategorie für sich. Die beiden Literaturfonds versuchen die Verleger mit speziellen Programmen für F16 zu unterstützen. Manche Verleger schenken den Klassikern übrigens eine ganz besondere Aufmerksamkeit: In dieser Woche haben wir eine wunderschöne Informationsbroschüre von Hella Reese, dtv, über Die zehntausend Dinge von Maria Dermoût bekommen. So großartig gemacht, daß man am liebsten dafür bezahlen würde. Die bekommt der Buchhandel, um sich über die Autorin zu informieren.

dtv-Reader für Maria Dermoût

Victor Schiferli: Übrigens: Es wird auch noch intensiv an einer Aktion für den deutschen Buchhandel gearbeitet. Denn niederländische Bücher herausgeben, ist eine Sache. Die Bücher müssen aber auch zum Leser finden, und der Buchhandel muß gut informiert werden. Selbstverständlich sind dafür die Verlage verantwortlich, aber die Fonds entwickeln auch Aktivitäten für den Handel. Genauso wie für die Presse…

Woran waren deutsche Verlage am meisten interessiert? Newcomer und Debütanten, Klassiker, Sachbuchautoren, Graphic Novels?

Reintje Gianotten: Eigentlich an allem. Vor ein paar Jahren hat mich Michael Krüger gefragt: Wo ist denn die neue Generation niederländischer Autoren? Jetzt ist sie da, und wir freuen uns, daß viele von ihnen einen deutschen Verleger gefunden haben: Daan und Thomas Heerma van Voss (dtv und Schöffling), Wytske Versteeg (Wagenbach), Nina Weijers (Suhrkamp), Mano Bouzamour (Residenz), Bregje Hofstede (C.H. Beck), Joost de Vries (Heyne) usw. Selbst Autoren, die früher weniger Erfolg auf dem deutschen Markt hatten, erhalten eine neue Chance. Jeroen Brouwers und Adriaan van Dis z.B. haben neue Verleger. Außerdem gibt es eine neu übersetzte Novelle von Margriet de Moor (Hanser), das Debüt von Hendrik Groen, das in 24 Länder verkauft wurde (Piper), es erscheint auch gleich als Hörbuch. Mairisch macht eine einmalige deutsche Ausgabe unserer Literaturzeitschrift Das Magazin.

Wenn ihr die Veröffentlichungen aus dem Niederländischen seit dem letzten Schwerpunktthema 1993 betrachtet: Wo seht ihr Nachhole- und Entdeckungsbedarf für den deutschsprachigen Raum? Was sind unsere „blinden Flecken“?

Victor Schiferli: “Blinde Flecken” waren sicher „indonesische Romane“ und Reiseliteratur. Daran hatte der deutsche Markt bislang kein großes Interesse: Bücher über die koloniale Vergangenheit eines anderen Landes. Aber, die Bücher van Hella S. Haasse und Maria Dermoût erscheinen jetzt. Und ja: Zwei der größten niederländischen Autoren des 20. Jahrhunderts, Willem Frederik Hermans und Gerard Reve, sind viel zu wenig bekannt, letzterer ist kaum übersetzt.

Wenn wir es einmal umgekehrt betrachten: Wie bekannt ist deutsche Literatur in den Niederlanden? Die jüngere Generation orientiert sich auch sprachlich mehr am angelsächsischen Raum. Hat das Einfluß auf die Rezeption deutsches Literatur?

Reintje Gianotten: Auch bei uns schauen die Verleger vor allem auf den angelsächsischen Markt. Aus Bequemlichkeit, denn jeder liest Englisch. Aber auch, weil auf vielen Teilen der Erde Englisch geschrieben wird. Zu Zeiten der Branchenkrise konzentrieren sich Verleger aber verstärkt auf andere Länder Europas in der Hoffnung, gute Titel für weniger Geld einkaufen zu können.

Victor Schiferli: Im letzten Jahr ist bei uns viel aus dem Deutschen übersetzt worden; und das Thema unserer jährlichen Buchwoche war dann auch: „Was ich noch zu sagen hätte“. Die deutsche Sprache ist wieder hip geworden in den Niederlanden. Während der Buchwoche im März sind Nele Neuhaus, Karen Köhler, Jenny Erpenbeck und Jan Wagner durch die Niederlande getourt. Auch Judith Schalansky, Myrna Funk, Katja Petrowskaja und Saša Stanišić werden in den Niederlanden gelesen, genau wie Robert Seethaler und ein Klassiker wie Hans Fallada.

Wie kann man sich als interessierter deutscher Leser am schnellsten einen Überblick über die Neuerscheinungen zu F16 verschaffen?

Derzeit wird monatlich eine Übersicht auf der Webseite unserer Fachmagazins Boekblad veröffentlicht. Die Liste steht übersetzt auch auf der F16-Webseite: www.frankfurt2016.com.

Auf welche Titel zu F16 seid ihr besonders stolz, worauf freut ihr euch?

Reintje Gianotten: Für mich ist es jedesmal wieder ein Fest, wenn ein neuer Band von Das Büro von J.J. Voskuil erscheint. Daß der Verbrecher Verlag dieses Meisterwerk in sieben Bänden auf den Markt bringt, finde ich Weltklasse. Der Übersetzer Gerd Busse möge dafür den höchsten Übersetzerpreis der Welt erhalten!

Victor Schiferli: Ich freue mich, daß Suhrkamp eine Neuausgabe von Nescio bringt, neu übersetzt von Christiane Kuby: einer der großen unbekannten europäischen Autoren, ein melancholischer Minimalist, ein außergewöhnlicher Lyriker. Und das Schreibheft widmet ihm wie gesagt noch dazu ein Dossier. Und ich freue mich über die Veröffentlichung aller jungen Autoren aus den Niederlanden und Flandern.

Ohne schon das gesamte Programm zur Frankfurter Buchmesse zu verraten: Was erwartet den deutschen Besucher in Frankfurt?

Große Autoren, junge und alte, stehen auf dem Programm: Cees Nooteboom neben Niña Weijers, Connie Palmen neben Ernest van der Kwast. Das Programm wird ein Knüller, aber auch auf dem Podium in Halle 5 gibt es täglich Programme zu literarischen Meisterwerken: Aber die Planung ist noch voll im Gange; wir hoffen, dem deutschen Leser viele Entedeckungen bieten zu können.

Die Fragen stellte Ulrich Faure.

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