Anne Weber hat für„Annette, ein Heldinnenepos“ den Deutschen Buchpreis erhalten. Wie denkt sie über ihr Buch und wie über Kritik, so ein Buch lasse sich schwer verkaufen? Das war Anlass für unser heutiges Autorengespräch:
Wie immer zuerst unsere Standardfrage: Worum geht es in Annette, ein Heldinnenepos?
Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos erzählt das Leben einer Frau, die es wirklich gibt und die heute 97 Jahre alt ist. Sie heißt Anne Beaumanoir, ist 1923 in der Bretagne geboren und war als sehr junge Frau von 19, 20 Jahren in der Résistance. Sie hat im besetzten Paris zwei jüdischen Jugendlichen das Leben gerettet, indem sie sie aus ihrem Versteck holte und zu ihren Eltern in die Bretagne brachte. Nach dem Krieg hat sie Medizin studiert und ist Neurophysiologin geworden, sie hat geheiratet und Kinder bekommen. Dann kam der Algerienkrieg, und sie hat sich auf der Seite der algerischen Unabhängigkeitsbewegung engagiert. Dafür ist sie 1959 von einem französischen Militärgericht zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, konnte aber fliehen. Das ist in groben Zügen das abenteuerliche Leben, von dem ich in diesem Buch erzähle.
Aber das Buch stellt auch viele Fragen …
Ja, etwa was bringt einen Menschen dazu, sein Leben für andere aufs Spiel zu setzen? Für Ideale wie Gerechtigkeit und Gleichheit? Was riskiert er dabei, von seinem Leben einmal abgesehen?
Jetzt noch meine zweite Standardfrage: Mit welchem Argument ist das aus Ihrer Sicht wem am besten zu verkaufen?
Hmm… in Marketing-Fragen wurde ich bisher noch nicht zu Rate gezogen; offenbar schien man mich darin nicht für besonders begabt zu halten, aber gut, versuchen wir’s mal.
Bitte …
Wer historisch interessiert ist, erfährt in diesem Buch viel über verschiedene Episoden der Geschichte des 20. Jahrhunderts, über die Résistance z. B., wie sie eine junge Frau im Untergrund erlebte, und über einen der blutigsten Unabhängigkeits- und Entkolonisierungskriege, die ein europäisches Land je geführt hat, den Algerienkrieg.
Wer gerne spannende Geschichten liest: Das ist eine.
Wer Bücher nicht nur wegen ihres Inhalts liest, sondern auch in eine eigene Sprachwelt eintauchen möchte, wer also empfänglich ist für die Erzählweise und für einen besonderen Blick auf das Erzählte: Hier kann er all das finden.
Alles in allem könnte das Buch, wie Sie sehen, in so gut wie allen Regalen einer Buchhandlung seinen Platz finden, außer vielleicht unter „Gartenpflege“.
Das bringt mich auf die Frage, wie Sie etwa über Kritik aus dem Buchhandel denken, Ihr Heldinnenepos sei nicht gerade der „Burner“ im Weihnachtsgeschäft?
Ich bin natürlich die letzte, die Buchhändlern gerne das Weihnachtsgeschäft vermasseln möchte, zumal es auch mein Geschäft ist. Ich würde ihn bitten, das Buch nicht vorschnell in die Kategorie schwer verkäuflicher Bücher zu stecken, nur weil da etwas von Heldinnenepos in Versform zu lesen ist. Wer das Buch liest, wird merken, dass es sich gut liest, und dass man es hier nicht mit Lyrik, sondern mit einem erzählerischen Werk zu tun hat, das die Geschichte eines Lebens erzählt, und zwar schlicht und einfach chronologisch. Ich meine, der Leser moderner Romanprosa ist doch einiges gewohnt: verschiedene Erzählebenen, Zeitsprünge, Perspektivwechsel. Nichts davon hier. Das Buch erzählt eine Lebensgeschichte, von der Geburt an bis heute!
Das erschließt sich nicht unbedingt auf Anhieb.
Das verstehe ich. Wer sich darauf versteift, grundsätzlich nur im Blocksatz gesetzte Bücher lesen zu wollen, wer vorgefasste Ansichten dazu hat, wie eine Buchseite auszusehen hat, gut, der wird es, ohne es auch nur angelesen haben, wieder weglegen. Wer aber erst einmal die ersten Seiten gelesen hat, wird weitergetragen werden und wie eine „ganz normale“ Erzählung lesen.
Was ist an dieser Frau, ihrer Heldin, so besonders?
Na, schon, dass sie schon als ganz junge Frau, eigentlich schon als junges Mädchen in die Résistance ging, also in den Untergrund, wo sie mit wechselnden falschen Namen unterwegs war, häufig die Unterkunft wechseln musste und ständig in Gefahr war festgenommen zu werden. Und dass sie sich dann aber über die strengen Regeln der Résistance hinweggesetzt hat, in der alle Einzelaktionen streng untersagt waren, um zwei Menschen das Leben zu retten. Diese von ihr geretteten Jugendlichen waren kaum jünger als sie selbst, es waren noch nicht mal ihre Nachbarn, es waren „wildfremde“ Leute, wie es heißt. Sie hatte von einer Razzia erfahren, die in deren Viertel stattfinden sollte, und wollte unbedingt versuchen, sie dort rauszuholen. Es kommt mir wie ein Wunder vor, dass dieses junge Mädchen, das wie fünfzehn aussah und kaum älter war, sich einfach von sich aus aufmachte, um diese fremden Leute an einen sicheren Ort zu bringen.
Und warum haben Sie aus dieser Geschichte keinen „richtigen Roman“ gemacht? Warum ein „Heldinnenepos“?
Weil ich nicht von einer fiktiven Figur erzählen wollte, sondern von einem Menschen, den es wirklich gibt. Sie lebt ja noch. Hätte ich denn, wie man es in Romanen üblicherweise tut, ihre Geschichte ausschmücken, Details hinzuerfinden, hätte ich dieser Frau, die ich ja kenne, Worte in den Mund legen können, die sie gar nicht gesagt hat? Mir widerstrebte das. Man kann mit einem fremden Leben nicht einfach machen, was man will, jedenfalls empfinde ich das so. Andererseits bin ich aber auch keine Sachbuchautorin, ich hätte keine Biografie schreiben können. Ich wollte ein erzählerisches, literarisches Buch schreiben. Und habe mich daran erinnert, dass die alten Epen nichts anderes erzählen als die Abenteuer und mutigen Großtaten besonderer Menschen — Männer allerdings. Ich hatte nun aber von einem Frauenleben zu berichten: deshalb ist ein Heldinnenepos daraus geworden. Ich habe darin nichts oder nur wenig erfunden, was nicht heißt, dass das Buch ohne Fantasie auskommt. „Epos“ bedeutet in diesem Fall hauptsächlich, dass ich versucht habe, die Geschichte dieser Frau etwas stärker als es im Roman üblich ist in einen Rhythmus zu bringen und zu verdichten.
Ihr Buch lässt sich auf viele Fragen der Gegenwart beziehen …
Ja, es werden aktuelle Fragen angesprochen: Muss ich etwas tun, damit die Zustände sich ändern? Soll ich einem Menschen helfen, auch wenn ich mich damit in Gefahr bringe? Bin ich oder wäre ich bereit, in Kauf zu nehmen, im Kampf gegen Unterdrückung oder staatlichen Terror auch gewaltsame Methoden einzusetzen, andere Menschenleben aufs Spiel zu setzen? Welche Mittel rechtfertigen welcher Zweck? Diese Fragen stellen sich zu allen Zeiten, sie sind immer aktuell und werden auch bei uns wieder dringender werden.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz
Autotengespräch? Ist der Text möglicherweise eine Rohfassung? Es sind verhältnismäßig viele orthografische und grammatikalische enthalten. Hat Frau Weber nicht verdient, dass man sich zwei Minuten mehr Zeit fürs Redigieren nimmt? Oder sind Rechtschreibung und Grammatik mittlerweile tot? Au!
«Fehler enthalten» sollte es natürlich heißen.
Danke für dieses Gespräch mit Anne Weber – über die vielen Formalfehler las ich gnädig hinweg.
Ich hielt vor allem Thomas Hettche und seinem Roman „Herzfaden“ die Daumen und war traurig, dass er den Deutschen Buchpreis 2020 nicht bekam – aber nun kann ich die Entscheidung der Jury verstehen, den Preis Anne Weber zu geben.
Ich werde „Anette“ auf jeden Fall lesen – und mir scheint dieses Leben vorbildlich zu sein, gerade in unseren Tagen. So vorbildlich wie das Leben und Handeln etwa von Hans und Sophie Scholl und all den anderen, von Georg Elser, Pater Rupert Mayer, Max Mannheimer . . .
Also mit einem Wort: Danke für dieses Gespräch – und vor allem Dank an Anne Weber, die das Wagnis eines Epos eingegangen ist. Ich wünsche ihr und dem Buch ganz viele Leser*innen!
Dieter Klug, Wolfratshausen
Das Buch erschien auch mir unzugänglich und durch seinen verformartigen Satz seeehr abschreckend – was erstmal nur eine Privatmeinung ist, tatsächlich ja aber von vielen Kunden geteilt wird. Aber es ist wahr, dass man es nur zu beginnen braucht, um festzustellen, dass es alles andere als schwer lesbar, verkünstelt, akademisiert oder sonst etwas Schwieriges oder Unangenehmes ist. Meinen Kunden sage ich: einfach anfangen. Die Versform erschließt sich von selbst und spätestens dann, wenn es an einer Stelle heißt (oder habe ich das in einem Interview gelesen?), diese Lebensgeschichte müsse „eigentlich gesungen werden wie eine Hymne“ (nur sehr ungefähres Zitat). Daher die Verse, die ja nicht mal Verse sind.. Die ehrliche Begeisterung der Autorin für diese Lebensgeschichte war ansteckend und ich gebe sie weiter. Ganz prima Weihnachtsgeschäftbuch und überhaupt.
Liebe Sprachfreundin!
Schlimmer als das fehlende „Fehler enthalten“ ist das „Autotengespräch“ zu Beginn.
Ansonsten meine volle Zustimmung: Die Verhunzung der Sprache schreitet mit Siebenmeilenstiefeln voran – vor allem je länger der Einschluss („lockdown“) dauert. Einmal gründlich Korrektur lesen und redigieren täte gut.
Dieter Klug