Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Carsten Pfeiffer?

Seit dem 6. Dezember 2017 (Nikolaustag) fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2018 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“ Heute beantwortet Egmont-Vertriebschef Carsten Pfeiffer, im „Nebenberuf“ Verleger Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, unseren „anderen“ Fragebogen:
Carsten Pfeiffer möchte gern auch mal Antworten einer „namenlosen“ BuchhändlerIn lesen…
 1.Welcher Tag war Ihr schönster in diesem Jahr?
Der Tag, an dem „unser“ Voltaire „Der Fanatismus oder Mohammed“ aus dem Startprogramm des Verlages Das Kulturelle Gedächtnis (VKG), die erste deutsche Neuübersetzung seit Goethe (vom formidablen Tobias Roth), als eines des schönsten Bücher des Jahres 2017 ausgezeichnet wurde. Das Thema – religiös motivierter Fanatismus – ist aktueller denn je, leider, und betrifft neben allen drei Buchreligionen ja z.B. auch aktuell das Schicksal der Rohingya in Myanmar.
Sowie der Tag meines Arbeitsantrittes bei Egmont am 03. Juli 2017. Ein sehr warmherziger Empfang durch tolle neue KollegInnen!
 2. Worüber haben Sie sich 2017 am meisten geärgert?
Da muss ich leider gleich drei Ärgernisse anführen: a.) Dass die AfD, die keine Lösungen anzubieten hat, so stark in den Bundestag eingezogen ist. b.) dass der Gesetzgeber die – insbesondere – Wissenschaftsverlage so kaltschnäuzig enteignet und den enormen Beitrag der Verlage bei der Wissensvermittlung und „Veredelung“ von Content durch Lektorat, Korrektorat, Aufbereitung  erneut (s. auch Thema VG Wort) massiv negiert. Und c.) persönlich, dass uns – den Verlag Das Kuturelle Gedächtnis – die  geschätzten Kollegen eines anderen Verlages bei der deutschen Erstveröffentlichung des wieder entdeckten Romans von Walt Whitman „Das Abenteuerliche Leben des Jack Engle“ überholt haben. Mein Trost ist, dass wir laut Presseresonanz und vielen Leserurteilen die attraktivere Ausgabe gemacht haben – mit zusätzlichen zeitgenössischen Illustrationen und Begleittexten und Anmerkungen zum besseren Textverständnis.
3. Was war 2017 Ihr schönster Erfolg?
Im Brotberuf bei Egmont Verlagsgsellschaften mbH: Der tolle Launch, das riesige Medienecho und der sagenhafte Abverkauf von Asterix Band 37 „In Italien“. Wobei ich dazu, da ich erst im Juli 2017 bei Egont angedockt habe, wenig beigetragen haben. Das Lob gebührt dem Team.  Beim Verlag Das Kulturelle Gedächtnis steht der schönste Erfolg noch wenige Tage aus, nach Stand der Vormerker ist er aber absehbar: Der vom Kollegen Peter Graf herausgegebene Band „Ungemein eigensnnige Auswahl unbekannter Wörtschönheiten“ aus dem Grimmschen Wörterbuch. Das wird ein wunderschönes, zweifarbig gedrucktes Buch und eine Fundgrube und ein Lesevergnügen für alle FreundInnen der deutschen Sprache! Ein „Sprach-Fest“ auch nach dem Weihnachtsfest…
4. Und Ihr traurigster Misserfolg war…?
Bei Egmont hätte ich uns und dem Buchhandel zum höchst erfolgreichen Film „Ich – Einfach unverbesserlich 3“ mehr Abverkaufserfolg gewünscht. Beim VKG wäre der wundervollen Reihe „Gegenschuss“ von Thomas Böhm mehr Erfolg zu wünschen. Die Inhalte und die fabelhafte Ausstattung der „Wende-Bücher“ geben das eigentlich her.
5. Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?
Prinzipiell alle Buchhandlungen, die Egmont und / oder VKG führen. Meine persönlichen Lieblingsbuchhandlungen sind in Berlin Schleichers Buchhandlung in Dahlem und Ocelot am Prenzlauer Berg, sowie die Autorenbuchhandlung. Die Buchhandlung der Büchergilde nicht zu vergessen. In München Literatur Moths, Lehmkuhl und die Autorenbuchhandlung.  Ich bewundere die Buchhandlungen der “ 5 Plus“-Gruppe – und prinzipiell alle Buchhandlungen, die nicht nur „Mainstream“ führen, sondern auch wahre „Lese-Entdeckungen“ ermöglichen. Und das sind viele, die Mehrheit… Liebe BuchhändlerInnen: Ihr könnt was, was Amazon nicht kann – persönlich auswählen, beraten, empfehlen – ohne Algorhythmen. Setzt drauf!
Zu meinen Lieblingsverlagen, auch das heikel – deren gibt es einige – gehören Wagenbach, Schöffling & Co., Matthes & Seitz, Berenberg, der Verbrecher Verlag, die hoffentlich bald wieder erstehende Friedenauer Presse – und natürlich der „Verlag Das Kulturelle Gedächtnis“ ha, ha….
 6.Von welchem Thema wollen Sie (warum) im neuen Jahr nichts mehr lesen?
Dass der Gesetzgeber sich weitere Ungeheuerlichkeiten einfallen lässt, um das Urheberrecht auszuhöhlen.
 7.Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?
Über den wichtigen und nicht zu unterschätzenden Beitrag, den Verlage und Buchhandlungen zur Bildungs- und Wissensentwicklung und zur Standortsicherung des Wirtschaftstandortes Deutschland beitragen.  Seit über 500 Jahren – und auch in der Zukunft!  In Zeiten des Internets, von Twitter & Co.  scheint ja manchen Politikern alles denkbar – aber Inhalte  im Internet sind auch „beliebig“,  „Fake news“ lassen  grüßen, und durch geschickes SEM und SEO lassen  sich Meinungen beeinflussen oder Schein-Wahrheiten verbreiten. Der verbreitende Buchhandel gewährleistet mehr Vielfalt, und kaum ein Manuskript verlässt einen gut lektorierenden und redigierenden Verlag so, wie es der Autor eingereicht hat…
8. Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden Jahr vermeiden?
Nicht ausreichend genug fragen, hinterfragen — Vorgänge müssen irgendwann vom Tisch!
 
9.Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?
Vermutlich: Nicht ausreichend genug fragen, hinterfragen — Vorgänge müssen irgendwann vom Tisch!
 
10. Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr besonders viel Freude gemacht?
Bei Egmont: Asterix 37 „In Italien“ und der erste Band über  Amalia von Flatter (Leseexemplare sind unterwegs!) aus dem Frühjahrsprogramm 2019 von Schneiderbuch. Und persönlich = für erwachsene Leser:  Rétif de la Bretonne, Monsieur Nicolas oder das enthüllte Menschenherz (Galiani Verlag)
11. Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?
Für Egmont: Schwer zu beantworten, ich müsste eigentlich 6 – 8 Titel nennen, wir haben ja verschiedene Programlinien! Spontan sage ich: „Amalia von Flatter“ (s.o.)  und „Das kleine Waldhotel“,  da hängt Herzblut dran (wie an vielen andere Titeln auch!). Beim VKG erscheint zum traurigen 75. Jahrestag der Ermordung der Mitglieder der „Weißen Rosen“ rund um Sophie und Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst und Prof. Kurt Huber als Wiederentdeckung der bedeutende Roman von Alfred Neuman „Es waren Ihrer sechs“ aus dem Jahr 1944.  Ein sehr  wichtiges Buch!
12. Von wem würden Sie auch gern mal die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Von einer für mich „namenlosen“ =  Im Sinne von „unkonkreten“
Buchhändlerin in einer kleinen, engagierten Buchhandlung, die Tag für Tag die Fackel unserer Branche hochhält und damit zu 7.) sehr erheblich beiträgt ! (Damit verbunden: Meine Lobpreisung auf alle engagierten und verkaufsorientierten Buchhändlerinnen und Buchhändler dieses Landes. Auf alle, die begeistern und überzeugen können und wollen. Weiter so! Eure Kompetenz kann Euch kein Onliner abnehmen !!!)
 13. Und welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie gern beantwortet?
Wie sehe ich die Branche in 10 Jahren?
14. Hier können Sie die auch beantworten:
Meine Antwort: Gut! Schon vor 25 Jahren orakelte Florian Langenscheidt das Ende des Buches und dessen sukzessiver Ablösung durch CD-RoM’s. Das Ergebnis kennen wir. Wenn wir Verlage weiterhin und vermehrt auf gutes Lektorat, gute Austattung und professionelles Marketing und „Auswahl“ setzen ((es dürfen auch 10.000 oder 20.000 Titel weniger im Jahr sein!)) und die Preibindung hochhalten; und wenn sich der stationäre Buchhandel noch mehr auf seine Stärken besinnt – Kunden“kenne“, Kundenbindung, gut ausgebildete Mitarbeiter, Leidenschaft fürs Buch, Beratungskompetenz, dann gehe ich weiterhin von einer vielfältigen und attraktiven Verlags-  und stationären Buchhandelslandschaft aus.

Gestern sprachen wir mit  Stefanie Eckmann-Schmechta über ihr Jahr 2017. Morgen beantwortet  Thomas Rathnow unseren „anderen“ Fragebogen

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