Rechtsanwalt Dieter Wallenfels, der Preisbindungstreuhänder der Verlage, sieht derzeit „ein ungelöstes Problem, die Crux mit den Mängelexemplaren“. Das war Anlass zu unserem heutigen Gespräch.
Herr Wallenfels, wo sehen Sie das Problem im Umgang mit Mängelexemplaren?
Dieter Wallenfels: In der Menge.
Das Problem ist aber doch nicht neu…
Das stimmt. Im letzten Jahr kamen knapp 80 000 neue Buchtitel auf den Markt, E-Books und Print-on-demand nicht eingerechnet. Das ist zwar weniger als vor 10 Jahren, als die 100 000-Titel-Zahl erreichbar schien, aber immer noch mehr als der Buchmarkt aufnehmen kann.
Und das führt zu umfangreichen Remissionen unverkaufter Bücher aus dem Handel.
Ja, ich verstehe die Verlage, die darüber nachdenken, was sie damit tun sollen. Makulieren? Näher liegt das Bestreben, solche Bücher als Modernes Antiquariat zu günstigen Preisen an das Lesepublikum zu bringen. Hier aber setzt die Buchpreisbindung Grenzen.
Auch Remittenden unterliegen der Preisbindung?
Ja, es sei denn, sie trügen auf dem Rückwege vom Buchhandel an die Verlage oder an von diesen für die Rücknahme der Remittenden beauftragte Vertriebsfirmen Schäden davon, sodass sie als Mängelexemplare anzusehen sind, für die gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 BuchPrG die Preisbindung nicht gilt.
Und das heißt jetzt?
Die Trennung verlagsneuer Remittenden von solchen mit Beschädigungen ist aufwendig. In dieser Situation kommt es zu Missbräuchen. Neue Bücher werden absichtlich beschädigt („gemängelt“) oder mit dem Stempel „preisreduziertes Mängelexemplar“ versehen, obwohl sie keine Mängel haben. Solche Missbräuche sind ein Dauerthema in der Branche. Das Branchenparlament des Börsenvereins stellte schon in seiner Sitzung vom 24. Juni 2008 fest, der Verkauf von Schein-Mängelexemplaren unter Preis verstoße nicht nur gegen die Preisbindung, sondern beschädige den Buchmarkt erheblich.
Sie als Preisbindungstreuhänder wurden damals beauftragt, gegen solche Missbräuche vorzugehen?
Ja, das Branchenparlament hat uns beauftragt, Rechtsverstöße auf diesem Gebiet im Interesse des Gesamtbuchhandels konsequent zu verfolgen. Auch die Börsenvereinsarbeitsgruppe „Prozesse, Rationalisierung und Organisation“ sollte sich mit der Problematik beschäftigen. Sie stellte im April 2009 umfangreiche Empfehlungen zur Optimierung des Remissionswesens im Buchhandel vor. Der Schlüssel zu signifikanten Prozessoptimierungen, so die AG Pro, liege bei den Verlagen. Eine Bereinigung des Wildwuchses müsse federführend von den Verlagen ausgehen, allerdings zwingend in Zusammenarbeit mit dem Handel.
Und seither beschäftigt Sie das Problem…
Leider, denn die Empfehlungen der AG Pro zum Remissions(un)wesen haben wenig bewirkt, wie ein Blick auf die voluminösen Ramschkisten im Buchhandel beweist. Dabei ist die Rechtslage nach einer Reihe von Grundsatzprozessen, die die Preisbindungstreuhänder geführt haben, klar: Verlagsneue Bücher mit dem Stempel „Mängelexemplar“ sind nach wie vor preisgebunden. So das Oberlandesgericht Frankfurt schon mit Urteil vom 26. Juli 2005 – Az. 11 U 8/05. Das Verbot, verlagsneue Bücher zu anderen als den von den Verlagen festgesetzten Preisen anzubieten „umfasst nach Auffassung des Senats auch solche Bücher, die tatsächlich keinen weitergehenden Mangel aufweisen als die bloße Kennzeichnung als Mängelexemplar“. Solche Bücher sind nicht nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 BuchPrG von der Preisbindung ausgenommen. Anderenfalls, so das Gericht, wäre der Weg frei für einen attraktiven Sekundärmarkt, der das Ziel des Gesetzes, einen leistungsfähigen Markt für Verlagserzeugnisse zu sichern und deren Rolle als Kulturgut zu fördern, gefährden könne. Das müsse auch bei der Auslegung der Ausnahmen von der Preisbindung berücksichtigt werden.
Das heißt also?
Ausnahmen sind eng auszulegen. Dabei ist der völlige Wegfall der Preisbindung bei Mängelexemplaren schon eine weitgehende Ausnahme verglichen zum Beispiel mit der Regelung für Mängelexemplare in Österreich: Dort ist nur ein handelsübliches Abweichen vom Ladenpreis im Verhältnis zum Mangel erlaubt (§ 6 Abs. 1 Ziffer 3. BPrBG).
Es gibt, obwohl die Rechtslage klar ist, dennoch einen aktuellen Rechtsstreit?
Ja. Ein nicht gerade unbedeutendes Buchhandelsunternehmen verkaufte zu Unrecht als Mängelexemplare gekennzeichnete verlagsneue Bücher unter Ladenpreis in großem Umfang und weigerte sich, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Sie argumentierte, der Stempel allein begründe den Mangel. Weil die Buchpreisbindung eine Ausnahme vom Verbot der vertikalen Preisbindung sei, sei es kartellrechtlich geboten, den Anwendungsbereich angemessen zu beschränken, Ausnahmen von der Preisbindung müssten deshalb weit ausgelegt werden. Auf die Sicht der Kunden komme es an. Und für die sei eben ein Buch mit einem Mängel-Stempel den gebundenen Preis nicht wert. Es liege also ein Mangel vor.
Ist eine solche Argumentation nicht gefährlich für die Preisbindung?
Ja, sehr. Erstaunlich, dass eine angesehene Buchhandlung ihren Anwälten eine solche Argumentation hat durchgehen lassen, die man eher bei der preisbindungskritischen Monopolkommission erwartet hätte. Man bedenke die Konsequenz: Wenn jeder Buchhändler die Möglichkeit hätte, ohne Weiteres durch eine Mängelstempelung preisgebundene neue Bücher zu beliebigen Preisen zu verkaufen, wäre das Ende der Preisbindung nicht weit.
Ich weiß, Sie sagen immer wieder, Gegner der Preisbindung könnten argumentieren, dass die Buchbranche selbst ihre Preisbindung nicht ernst nimmt.
Im obigen Fall wird die Argumentation aber keinen Erfolg haben, denn das Oberlandesgericht Frankfurt hat in dem vorgehenden Urteil festgestellt, die Mängel-Regelung im BuchPrG sei mit dem bürgerlich-rechtlichen Fehlerbegriff nicht vergleichbar. Der Gesetzeswortlaut („Bücher, die aufgrund einer Beschädigung oder eines sonstigen Mangels als Mängelexemplare gekennzeichnet sind […]“) ergebe deutlich, dass ein „sonstiger Mangel“ ähnlich einer Verschmutzung oder einer Beschädigung vorliegen müsse und die Bücher deshalb nicht preisgebunden sind.
Nicht zuletzt am Umgang mit Mängelexemplaren wird sich die Branche messen lassen müssen, ob ihr Verhalten den Erwartungen entspricht, die der Gesetzgeber bei der Gewährung des Privilegs der Preisbindung, der einzigen neben der für verschreibungspflichtige Arzneimittel, hatte
In dem Urteil steckt noch mehr, was die Branche wissen sollte….
Ja, in seinem Urteil hat das Oberlandesgericht Frankfurt auch eine weitere wichtige Feststellung getroffen: Ein Buchhändler kann nicht die Verantwortung abwälzen auf einen Vorlieferanten, von dem er die Bücher mit entsprechender Kennzeichnung erworben hat. Allein entscheidend ist: Der Unterlassungsanspruch richtet sich gegen den Händler als denjenigen, der preisgebundene Bücher als Letztabnehmer zu einem niedrigeren als dem Ladenpreis verkauft, ohne dass eine Ausnahmeregelung des Preisbindungsgesetzes greift. Und wer als Verlag oder Zwischenhändler mangelfreie Bücher zu Unrecht mit einem Mängelstempel versieht, haftet nach den Vorschriften des UWG. Gleiches gilt für die absichtliche Schädigung („Mängeln“) von Büchern. Hierzu hat das Oberlandesgericht Frankfurt in einem weiteren Urteil vom 15. Mai 1997 – Az. 6 U 85/96 – festgestellt, die Preisbindung werde unterlaufen, wenn ein Händler neue Bücher vorsätzlich beschädigt und sodann als Mängelexemplare verkauft.
Also noch eine Baustelle, neben der Konditionenproblematik, die die Branche zurzeit beschäftigt?
Ja, eine gefährliche. Erinnert sei an die Bemerkung, die der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert bei den Buchhändlertagen 2006 dem Buchhandel ins Stammbuch geschrieben hat: „Die Buchpreisbindung ist nicht von der Politik bedroht, sondern von der Branche. Wenn sie nicht Bestand haben sollte, suchen Sie die Ursachen in den eigenen Reihen.“
Nicht zuletzt am Umgang mit Mängelexemplaren wird sich die Branche messen lassen müssen, ob ihr Verhalten den Erwartungen entspricht, die der Gesetzgeber bei der Gewährung des Privilegs der Preisbindung, der einzigen neben der für verschreibungspflichtige Arzneimittel, hatte.“
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz