Der Verleger Jan Weitendorf von Hacht hat sich am Montag dieser Woche mit einem OFFENEM BRIEF zum Streit um die Konditionenspreizung an die Branche gewandt und damit sichtlich einen Nerv getroffen. Aber eine öffentliche Reaktion bleibt aus. Das war Anlass für Fragen:
Wir spüren es an den Klickzahlen: Du hast in ein Wespennest gestochen. Aber öffentliche Reaktionen hat es bislang nicht gegeben …
Jan Weitendorf von Hacht: Ja, ich habe aber Reaktionen per Mail von Verlegern erhalten, die ich teilweise sogar selbst noch nicht kenne. Natürlich wollen sich diese aber öffentlich nicht äußern. Das war aber zu erwarten.
Weil es sich keiner leisten kann, es sich mit Thalia zu verscherzen?
Eher weil alle denken, dass die Buchbranche nach wie vor ein so nettes Miteinander pflegt und man Probleme lieber umschifft oder im persönlichen Gespräch klärt. Im Tenor heiß es in den Reaktionen: „Ich bewundere Deinen / Ihren Mut“. Ich finde es nicht mutig, sondern notwendig.
Warum?
Zu lange haben die Verlage geschwiegen. Gerade wir mittleren und kleinen Verlage wurden vielfach nicht gefragt, leiden aber am meisten. In sämtlichen Gremien des Börsenvereins sind die Ämter bis auf wenige Ausnahmen durch Mitarbeiter von Bonnier, RandomHouse oder Holtzbrinck besetzt, die sich gerne auch gegenseitig stützen, da sie ähnliche Interessen verfolgen. Auch jetzt wagen sich die wenigsten Verlage tatsächlich aus der Deckung. Es ist geradezu gespenstisch, wie weit die Macht der Filialisten schon gekommen ist und wie wenig Initiative auf Seiten der Verlage noch vorhanden ist.
Aber warum wagen sich die Verleger der Konzernverlage nicht mehr, öffentlich die Behauptungen von Michael Busch zu widerlegen?
Das ist erklärbar, wenn man sich ansieht, wer heutzutage als „Verleger“ betitelt wird, sich aber eigentlich nur als „Söldner“ von einer Verlagsspitze zur nächsten hangelt um im Gehaltsranking voran zu kommen, ohne aber wirklich je gespürt zu haben, welche Konsequenzen Fehlentscheidungen oder Stellungnahmen auf das eigene Portemonnaie haben können.
Das hört sich ziemlich brutal an…
… es ist etwas polemisierend, aber im Grundsatz hat sich die Branche in diese Richtung verändert. Die wenigsten Führungskräfte haben die Gesamtverantwortung und damit die alleinige Entscheidungskompetenz. Sie sind fremdgesteuert und können nur in Ihrem Kompetenzbereich entscheiden. Für die schwierigen Fragen werden verschiedene Abteilungsleiter oder sogar externe Berater heran gezogen und die obligatorische D&O Versicherung sichert alle Fehlentscheidungen ab, die Geld kosten könnten. Entscheidungen müssen immer vorab abgestimmt werden und das kostet Zeit und Nerven – dadurch werden lieber gar keine Stellungnahmen getroffen. Oder gab es bei Bertelsmann irgendwann einmal eine Stellungnahme, wenn Bertelsmann nicht direkt betroffen war? Außerdem können die großen Verlagshäuser scheinbar ohne Probleme mit den Konditionen umgehen, die mit den Filialisten vereinbart werden.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass in den Konzernverlagen oft auch nicht mehr gewusst wird, wie es im kleinteiligen unabhängigen Buchhandel zu geht.
Jedenfalls scheint den Verantwortlichen dort völlig fremd, wie es ist, mit einem Verlag einen Überlebenskampf zu führen und darauf angewiesen zu sein, dass an der einen oder anderen Stelle das Rabattprozent oder das Zahlungsziel nicht eingeräumt wird, da ansonsten für das nächste Programm ein wichtiger Titel nicht eingekauft werden kann oder womöglichMitarbeiter in Frage gestellt werden müssen, auf die aus Liquiditätsgründen verzichtet werden muss.
Ich habe auch nie verstanden, dass die großen Verlage unbedingt Pioniere beim E-Book sein wollten und sogar dafür werben, dieses Buch gibt es auch als E-Book, also billiger. Das rächt sich jetzt auch in der Diskussion um die E-Buch Ausleihe
Leider spielt auch die Politik wie immer ihr eigenes Spiel, indem natürlich die Wähler nicht vergrault werden sollen, die in Zukunft Mehrheitsbeschaffer sein könnten. So wird den digitalen Medien seit langer Zeit viel mehr Gewicht zugemessen, als aus meiner Sicht notwendig. Wir sehen doch alle, wie viele Leser nach wie vor lieber zum Buch greifen und wie viele Leser nach wie vor auch bei den Kindern und Jugendlichen zum Glück noch zum Buch greifen. Die Zeit der Selbstzerstörung durch den Börsenverein ist zum Glück vorbei, in der das Ende des Buches herbei geredet wurde und negative Schlagzeilen lieber selbst initiiert wurden, anstatt sie anderen zu überlassen.
Was heißt das jetzt aus Deiner Sicht?
Die zunehmende Digitalisierung und der damit zusammenhängende Machtgewinn von Amazon, dessen Steuervermeidungs- und Verschiebungspraktiken aus meiner Sicht immer noch nicht ausreichend geahndet wurden und werden, führt dazu, dass Politik und oligopolistische Marktteilnehmer die Gesetze immer weiter aushöhlen und keine klare Stellung mehr beziehen wollen. Die Preisbindung ist ein Tool, das es zu schützen gilt. Ich habe bereits vor 30 Jahren mit zwei Kommilitonen eine Hausarbeit über die Funktionsanalyse der Buchpreisbindung geschrieben und diese mit den offenen Märkten in England und den USA verglichen.
Zu welchem Schluss bist Du damals gekommen?
Nach wie vor steht für mich das Ergebnis fest – die Buchpreisbindung fördert eine Marktvielfalt, die in den anderen Ländern nicht mehr existiert.
Die Auswirkungen sind im Buchpreisbindungsgesetz erkennbar …
…. in dem die Obergrenze von Rabatten nicht festgelegt wurde. Mir wurde aber mitgeteilt, dass es einen Kommentar zum Buchpreisbindungsgesetz vom Kartellamt gibt, in dem das Bundeskartellamt eine Überschreitung von Rabatten über 50% als rechtlich nicht zulässig einstuft. Aus meiner Sicht ist die Argumentation von Michael Busch mit Verweis auf die international tätigen Unternehmen wie Amazon fatal.
Wieso?
Weil Amazon die Steuerschlupflöcher ausgenutzt hat, die die Politik noch immer nicht ausreichend geschlossen hat. Es hätte nie dazu kommen dürfen, dass Amazon in Deutschland minimale Steuern zahlt. Hier hat der Gesetzgeber geschlafen. Die Summen, die Amazon dadurch sparen konnte, wurden in das Internet und in den Service investiert. Da konnten andere Unternehmen wie Thalia natürlich nicht mithalten. Jetzt aber so zu tun, als wäre das Aufholen der Investitionen eine Innovation ist so falsch wie die fehlende politische Entscheidung, Amazon nicht sofort die Daumenschrauben anzulegen. Genauso falsch war es aus meiner Sicht, dass der Gesetzgeber bei Thalia den Zusammenschluss und weitere Aktionen in Richtung Einkaufsgemeinschaft hat durchgehen lassen. Wenn man sich den neuen Filialatlas anschaut, erinnert mich das zunehmend an die Verhältnisse in den USA – und dort kämpft ein Riese ums Überleben, weil auch dort die Größe der Filialen nicht überall zur Größe der Kundschaft gepasst hat. Das Kartellamt hätte bei den Zusammenschlüssen stärker die Sprachbarriere berücksichtigen müssen.
Thalia mit Amazon gleich zu setzen hinkt als Vergleich also?
Ja, insofern, als es sich nicht um digitale Erweiterungen handelt, sondern gerade um stationäre. Ich hatte gehofft, dass sich eher ein Gegenpol gebildet hätte, aber da bin ich wahrscheinlich zu sehr Gerechtigkeitsfanat.
Und wie stehen Deine Verlage und Du jetzt zu Thalia?
Wir arbeiten sehr gerne mit einzelnen Personen bei Thalia zusammen – Thalia hat sehr qualifizierte Mitarbeiter*innen in den einzelnen Filialen und im Einkauf. Wir verkaufen unsere Bücher an jede Buchhandlung, die sich für unsere Bücher interessiert, solange wir nicht das Gefühlt haben, dabei drauf zu zahlen.
Das heißt, Euch gibt es nicht bei Thalia?
Unsere Bücher werden nach wie vor von Thalia gekauft. Wir sind aber seit über einem Jahr in Vertragsverhandlungen, weil wir unterschiedliche Vorstellungen haben.
Worum geht es da?
Ich erhalte bei Lieferanten Skonti, wenn ich innerhalb einer bestimmten Frist zahle. Da kann es sich um 10 oder im Maximum um 30 Tage handeln. Thalia fordert Skonti, die überhaupt keinen Zusammenhang mit einer frühzeitigen Zahlung aufweisen. Dabei ist anzumerken, dass wir Verlage alle Kosten für die Urheber (Agenturen, Lizenzverlage, Autoren, Illustratoren, Übersetzer, Herausgeber etc.) für die Produktion (Litho, Setzerei, Druckerei, Fotoagentur) und für die Logistik und Warenhaltung vorfinanzieren müssen. Wir sind diejenigen, die eine Auflage produzieren, ohne zu wissen, ob der Handel denn irgendwann tatsächlich auf den fahrenden Zug aufspringen wird. Das erfordert sehr viel Kapital. Bei uns liegt das weitaus höchste Risiko.
Und Du gewährst trotzdem Remissionsrecht.
So ist es – das ist ein Entgegenkommen, dass ebenfalls noch aus den Zeiten des Sammelrevers stammt: Auch das Remissionsrecht wurde im neuen Gesetz nicht aufgenommen und dennoch halten wir uns als Verlage daran, dass wir unsren guten Kunden bei Neubestellungen auch unverkäufliche Ware retournieren lassen. Aber genau in diesem Punkt erhalten wir bei einigen Titeln palettenweise Retouren von Thalia, die dann erwarten, dass die Verlage diese Ware nicht nur zurück nehmen (wenn sie den wiederverkäuflich ist), sondern auch wieder gut schreiben. Hier werden gute Titel gebunkert, die andere Buchhandlungen eventuell hätten bestellen wollen, aber nicht mehr konnten. Ein halbes Jahr später werden die Titel als unverkäuflich deklariert. Das sind Gebaren, die unser Risiko treiben und uns der Möglichkeit der Risikobegrenzung berauben. Andere Markteilnehmer handeln da verantwortungsbewusster.
Und wie hoch sind solche Retouren, wenn Thalia zurück schickt?
Uns werden die Retouren angedroht – im letzten Weihnachtsgeschäft ein Betrag im mittleren fünfstelligen Bereich – wenn wir nicht neuen Konditionen zustimmen.
Und habt Ihr zugestimmt?
Wir haben nicht zugestimmt und erhielten die Ware zurück, obwohl wir noch kurz zuvor einen Bonus für einen Umsatzzuwachs zahlen mussten. Das passt halt alles nicht mehr zusammen. Aber wir lassen uns nicht erpressen und ich als Verleger gehe von Einsicht und einem fairen Miteinander aus, auch wenn der eine oder andere darüber lachen wird.
Das ist aber alles nicht zum Lachen…
… deswegen gehe ich auch fest davon aus, dass viele Verlage die gleiche Situation kennen und gerade vor dem Hintergrund der zur Zeit stattfindenden Kostenexplosionen gleiche Überlegungen anstellen.
Und der Verband – welche Überlegungen stehen da im Raum?
Im Grundsatz wäre es vernünftig, eine IG unabhängige Verlage und Buchhandlungen zu gründen, in der alle nicht Konzernverlage vertreten wären. Ich wäre bereit dazu… natürlich im Rahmen von Teams-Sitzungen oder anders digital…
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz
Jan Weitendorf bringt es vielfach auf den Punkt. Allerdings haben viele von den wirklich kleinen Verlagen vor dem stationären Buchhandel längst kapituliert, nachdem sie zuvor von diesem aufgegeben wurden. Die wenigen Bestellungen werden meist durchgereicht, ohne jemals im Regal zu landen; die Programme gar nicht mehr angesehen. Die Verlage verkommen zu Bittstellern, trotz ofmals schöner, interessanter und wichtiger Titel. Nur welcher Kleinverlag kann sich schon Regalmeter oder WKZ leisten? In der Vertretertasche finden wir uns ganz hinten und dürfen uns freuen, wenn wir überhaupt mal gezeigt werden. Wer braucht schon so kleine Verlage? Was zählt, sind neben den Konditionen der prognostizierte Erfolg und die Beliebtheit. Beides hat wenig mit Qualität zu tun, aber viel mit einer sich selbsterfüllenden Prophezeihung. Wichtige, mutige Bücher haben so oft keine Chance. So schwindet die Vielfalt, was zwar nicht im Sinne der Leser ist, aber die Renditen der Großen befördert. Weitaus bessere Chancen bietet hier der Onlinehandel. Aber sollten wir uns das wünschen? Jan Weitendorf leistet hier einen wichtigen Beitrag zur Diskussion, den wir offen aufnehmen sollten. Ob wir wirklich eine IG unabhängige Verlage und Buchhabdlungen brauchen, wird sich zeigen. Sicher brauchen wir aber Lösungen für viele unglückliche Entwicklungen, die sich tröpfchenweise eingeschlichen haben, aber mittlerweile ungesund wuchern.
Danke – an den BuchMarkt und Herrn Weitendorf – für das engagierte Interview! Es ist schon ein Skandal und grenzt an Perversität, dass in einem schon reglementierten Marktsegment (Buchpreisbindung etc.), welches das Gut Buch unterstützen und bis zu einem gewissen Grad schützen soll, einige Marktteilnehmer diese Struktur ausnutzen und der Verband, der dieses Marktsegment insgesamt vertritt und betreut (sic!) sich ogliopolistisch verhält. Die Entwicklung der Branche – sowohl auf Verlegerseite als auch auf Seiten der Buchhandlungen – während der zurückliegende Pandemiephase hat gezeigt, dass die Nachfrage nach dem Buch aber auch nach dem persönlichen und individuellen Kauferlebnis sehr hoch ist. Hier sehe ich solide Chancen für die Branche und ihre Vielfalt.
Und gerade deswegen darf das Thema nicht in einer IG verschwinden, sondern muss für eine umfassende Lösung auf die Tagesordnung des Hauptverbands. Leider habe ich zuwenig Erfahrungen mit Verbandsarbeit, aber gerne unterstütze ich Initiativen, die diese Vielfalt und die damit verbundene Dynamik sicherstellen und vorantreiben.
Ganz langsam kommt Bewegung ins Spiel … jetzt z.B. bei Facebook Unabhängigge und Buchhandelstreff … weiter so, die Verlagskonferenzen stehen an
So gut die Idee der Gründung einer IG unabhängige Verlage und Buchhandlungen auch gemeint ist, wenn Sie sich anschauen was die bestehenden IG´s bisher im Börsenverein bewegt haben, kann keiner von uns dadurch eine Verbesserung der Lage feststellen. Ja es ist wichtig das wir miteinander reden, aber es sollte dann auch etwas dabei rauskommen. Auf meine Nachfrage beim Börsenverein, was die IG´s für die Mitglieder Positives gebracht haben, konnte mir kein einziges Beispiel dafür genannt werden. Man tagt und redet miteinander und einmal im Jahr kann die jeweilige IG dem Hauptamt seine Ergebenisse kundtun. Ob und was sich danach tut, weiß keiner genau. Ganz zu schweigen von einer schnellen Umsetzung. Es fühlt sich so an, als seien auch die IG´s nur Bittsteller ohne die Gewähr einer zeitnahen Antwort, ganz zu schweigen von Mitsprache.