Beckmann kommtiert Das BAG-Desaster als Kernproblem des Börsenvereins und der Zukunft der Branche

Einen begrüßenswert ausgewogenen offenen Kommentar zu der – seit November letzten Jahres akuten – Krise der BAG, die jetzt publik wurde, schließt der Chefredakteur des Börsenblatts, Torsten Casimir, mit der Bitte an die gesamte deutsche Buchbranche um Antworten auf die Frage, wie es zu dem „Beinahe-Desaster“ hat kommen können: „War hier eine Allianz der Träumer am Werk? Waltete Optimismus ohne gute Gründe?“

Nur zu berechtigte Fragen. Dieses „Beinahe-Desaster“ – dessen Aufklärung, wie Casimir richtig anmerkt, durch seine momentane Lösung „nicht an Dringlichkeit“ verloren hat – wirft aber noch ein paar andere, grundsätzlichere Fragen auf, welche die Zukunft des Börsenvereins wie der Branche betreffen. Darüber haben Volker Hasenclever und ich gestern, am Donnerstagabend, stundenlang diskutiert.

Zur Erläuterung zunächst einmal folgende Zusammenhänge (und Fakten):

(1) Die BAG organisiert das Zahlungsclearing zwischen Buchhandlungen und Verlagen für deren Warenlieferungen – nur eben bei weitem nicht allen. So nehmen zum Beispiel die VVA und Barsortimente an diesem branchenspezifischen Abrechnungsverfahren nicht teil. Und das Servicecenter Fachverlage ebenfalls nicht. Die BAG ist also wesentlich nur für Verlage tätig, die auf eigene Rechnung liefern – ein bislang solides Geschäft, das freilich seit Jahren rückläufig ist.

(2) Im Jahre 2000 gründete die BAG ein neues Unternehmen, an das – gegen Zahlung von Gebühren, versteht sich – Lieferanten ihre Forderungen übertragen konnten: die Factoring Gesellschaft Media FGM. (Das Factoring ist gewöhnlich ein Geschäftsfeld der Banken.) Einer derartigen Factoring-Gesellschaft wird mit den Forderungen häufig – bei der FAG war dies der Fall – zusätzlich das Zahlungsrisiko übertragen; dann tritt sie – nach entsprechender Prüfung seiner Bonität – auch für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners ein. (Für das so entstehende Risiko behält die Factoring-Gesellschaft einen Anteil des Rechnungsbetrages ein.)

(3) Wie das Börsenblatt berichtet, hatte die FGM allerdings nur einen einzigen wesentlichen Kunden: den Großaufkäufer von Restauflagen, den MA-Spezialisten Zanolli. Mit Hilfe von Zanolli konnten Verlage ihre Lager bereinigen; von der FGM bekamen sie schnell ihr Geld; und die FGM hoffte, dann auch an den Verkäufen von Zanolli zu verdienen. Im Sommer 2005 meldete Zanolli jedoch Insolvenz an, und die FGM saß auf uneinbringbaren Forderungen von 13 Millionen Euro – 13 Millionen Euro, die sie längst an die Verlage gezahlt hatte. Und da hatte die FGM ein ziemliches Problem am Hals.

(4) Einer offiziellen Verlautbarung zufolge brachte dieses Problem die FGM aber nicht in Schwierigkeiten, und die Branche hat der Verlautbarung Glauben geschenkt – war doch die Solvenz der BAG (als Muttergesellschaft der FGM) nicht in Frage gestellt. Und standen den Forderungen schließlich nicht ausreichende Lagerbestände – und Werte gegenüber? Es schien nur eine Frage der Zeit, dass sie verkauft werden konnten. Im übrigen wollte man – um der Branche nicht zu schaden – sogar dafür sorgen, dass die Bestände nicht als eine große Tranche angeboten werden, damit weder der Markt verstopft noch das Preisgefühl der Kunden erschüttert würde – eine Großzügigkeit, die den Eindruck verstärkte, die FGM verfüge über hinreichende Finanzkraft.

(5) Das freilich war ein Kartenhaus, das rasch in sich zusammenbrach. Eine unabhängige Bewertung ergab, dass die Lagerbestände Zanollis nur mit maximal 8 Mio. Euro zu bewerten seien – ergo fehlten 5 Millionen Euro in der Bilanz. Und es zeigte sich, dass auch die BAG wohl nicht (mehr) in der Lage ist, aus eigenen Mitteln für die Risikosicherheit ihrer FGM-Tochter aufzukommen.

(6) Darauf hat die Holding der buchhändlerischen Wirtschaftsbetriebe als Notmaßnahme beschlossen, dass ihr Tochterunternehmen MVB erst einmal 3 Millionen Euro für sieben Monate zur Verfügung stellt – um ein sofortiges Aus der BAG zu verhindern. Denn die Folgen wären immens: Bevor ein Insolvenzverfahren der BAG das Stadium erreichen würde, dass wieder Zahlungen an die Verlage geleistet werden, könnten Monate verstreichen. Und zwar würden ihre Forderungen an die Buchhandlungen bestehen, die BAG könnte aber eingehende Beträge nicht umgehend und vollständig an die Verlage weiterleiten. Die Folgen (vor allem für die wohl meist betroffenen) kleineren und mittleren Verlage kann man sich denken.

Aus diesen Problemzusammenhängen ergeben sich als aktuelle Kernfragen:

Beruht die momentane Notoperation nicht wiederum auf einem Kartenhaus? Sind selbst die 8 Millionen Euro, auf welche der Wert der Zanolli-Lagerbestände inzwischen heruntergestuft worden ist, überhaupt zu realisieren? Das wird von denjenigen, die einen unverstellten Blick auf den Ramschmarkt haben, bezweifelt. Und falls sie Recht haben sollten: Wieviele weitere FGM-Millionen werden dann noch abzudecken sein?

Und warum ist die Rettungsmaßnahme auf sieben Monate befristet? Entspricht dieser Zeitraum etwa dem jährlichen zyklischen Fluss der Einnahmen von Börsenverein, MVB, AUM etc., beispielsweise in der Form, dass der Fall eintreten könnte – nach September gäbe es eine Kassenebbe, auf Grund derer Börsenverein/MVB/AUM nicht mehr über das Plus verfügten, um der BAG 3 Millionen Euro (oder möglicherweise noch mehr) als Darlehen bereitzustellen? Oder: Könnte es bei alldem nur um einen Zeitgewinn gehen, um für das BAG-Problem eine gänzlich andere Lösung zu finden? Wir wollen darüber hier nicht spekulieren.

Zwei der drei Geschäftsführer der BAG sind inzwischen zurückgetreten [mehr…].

Bleibt erstaunt zu fragen, warum alle Sicherungssysteme bei einem derartig spekulativen Geschäft, wie es das Factoring für Bücher des modernen Antiquariats ist – die ja zuvor auf den normalen Wegen schon nicht absetzbar waren – unwirksam blieben.

Ein Verdacht liegt nahe – dass es nämlich auch in der Struktur der verschiedenen Aufsichtsgremien liegt. Sind sie doch satzungsmäßig vielfach von Personen besetzt, deren Aufgabe es ist, in dem einem Kreis das zu kontrollieren, was sie im anderen beschlossen haben.

Andererseits muss wohl die Frage gestellt werden – und hier wird es nun echt grundsätzlich: Sind die überkommenen, branchenintern organisierten und betriebenen Verbundbetriebe überhaupt noch in der Lage, die neuen Herausforderungen zu meistern? Dafür scheinen sie eigentlich viel zu klein.

Konzentrationsprozesse, eine Spaltung in Habenichtse und Vermögende, zutage tretende Interessensgegensätze unter den einstmals Verbündeten, die neuen Größenordnungen bei Finanzierung und Technologie sind Belege dafür, dass die Teilnahme an „normalen“ Marktbedingungen der Branche einen hohen Zoll abverlangt. Dass hier keine kleine Münze genügt, dass man sich offener und ehrlicher als bisher mit den Anpassungsprozessen und ihren Folgen auseinandersetzen muss – es könnte ein positives Ergebnis des Desasters sein.

Der Vorstand des Börsenvereins ist um seine Aufgabe wahrlich nicht zu beneiden.

Gerhard Beckmann freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de

Weitere Beiträge der Kolumne „Beckmann kommentiert“ finden Sie im Archiv unter dem Stichwort: „beckkomm“.

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