Beckmann kommtiert Ein Juryvorsitzender und ein flapsiger Kommentar – darf er das? Man ist not amused

Der Beitrag im Börsenblatt heißt Tristesse an der Tankstelle – und Verleger und Autoren empören sich über Rainer Moritz. Denn er macht sich ausgerechnet im Blatt des Börsenvereins, der den Deutschen Buchpreis verleiht, lustig über die Inhalte einiger Bücher der Longlist – satirisch gemeint (aber sichtlich nicht für jedermann verständlich) – darf er das als Vorsitzender der Jury?
Kaum ist die Longlist bekannt geworden, und schon geht die Diskussion los …

Hat die Jury da wirklich die richtige Auswahl getroffen?
Sind auf dieser Longlist überhaupt die besten Romane der letzten zehn Monate berücksichtigt, damit eine Chance besteht, dass am Ende auch wirklich der beste Roman des Jahres den Preis kriegt?
Wieso haben die Juroren sich ausgerechnet für den Autor mit diesem Roman entschieden und nicht für jene, im Vergleich eigentlich viel bessere Autorin mit ihrem viel gelungeren und interessanteren Buch?

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So geht das beim britischen Booker Prize hin und her, auch diesmal. Da vergeht kein Jahr, in dem nicht irgendwelche – meist sogar recht prominenten – Literaturkritiker, Autoren oder Verleger laut aufschreien: „Ein Skandal, ein Skandal!“

Da wird die Jury auseinander genommen, dass manchmal die Fetzen fliegen. Es werden gelistete Bücher himmelhoch jauchzend gelobt oder in Grund und Boden verdammt, so dass einem im Vergleich dazu die – vom Fernsehen übertragenen – manchmal doch recht brutalen Scharfrichtereien auf den Klagenfurter Bachmann-Tagen vorkommen könnten wie feinfühlig wohlwollende Ohrwürmer.

Angenehm ist das für Autoren und ihre Verlage wirklich nicht immer.

Und doch ist es gut so.

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Deswegen gibt es die Longlist ja. Damit neue Literatur wieder zu einer offenen, öffentlichen Sache wird. Damit die Menschen diskutieren, was ihnen an Literatur wichtig und was weniger wichtig ist. Damit in breiteren Schichten der Bevölkerung als unter den gegebenen Umständen normalerweise üblich wieder gelesen wird. Damit Interesse an Literatur geweckt wird; denn, und das droht gerade heute weitgehend in Vergessenheit zu raten, Literatur ist interessant – nicht nur für die kleinen Kreise von Berufslesern, Literaten und Aficionados, über die solche neuen Bücher inzwischen meist nicht mehr hinauskommen. Sie gehen inmitten der Armada von stromlinienförmigen Genre- und Bestsellervehikel auf dem Mainstream von Buchhandel und Medien ja meist gleich unter.

Literatur – gerade gute – braucht entschiedene Befürworter. Entschiedene Befürworter aber finden fast immer nicht minder dezidierte Kontrahenten, die anderer Auffassung sind.

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Das ist wiederum gut so.

Denn was den Geschmack betrifft, finden oft beide Seiten Gehör und Gefolgschaft, da können durchaus beide Seiten recht haben – es kommt halt immer auf die Geschmacksnerven an, und de gustibus est disputandum, oder: Wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtegall.

Aber auch “ betr. literarische Kriterien“ gilt: Die meisten ehrlich und sauber argumentierten Lesarten und Urteile, so gegenteilig sie auch sein mögen, haben etwas für sich. Ob und inwieweit wir sie teilen, ist eine Frage der Abwägung ihrer Pros und Contra – und ihrer persönlichen, rhetorischen und sachlichen Überzeugungskraft.

Oft finden wir hier, wie in allem, erst im Streit der Meinungen und Gespräche eine eigene Sichtweise und Überzeugung. Darum sind Diskussionen ja so wichtig. Ohne sie kämen wir allzu oft – zum eigenen wie zum Schaden anderer – aus der Enge unserer Vorurteile und Erfahrungen nie hinaus.

(Und: Wie der jüngst verstorbene, wirklich bedeutende Hamburger Germanist Karl Robert Mandelkow schon an Goethe und anderen deutschen Klassikern klarmachte: Ein literarisches Werk hat nie eine absolute , eine letzte Wahrheit, die sich für alle und jeden und für alle Zeit destillieren und behaupten ließe – weil nämlich “die Wahrheit eines Werkes nichts anderes ist als das aufgeschlagene Buch seiner historischen Lesarten“ (Thomas Assheuer in „Die Zeit“). Seine Wahrheit tritt in der Wirkung all seiner, oft sogar widersprüchlich scheinenden, Sinnschichten zutage, dank seiner vielfältigen Aufnahme verschiedenartiger Leser (und Epochen).

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Wie Karl-Heinz Bittel in einem BUCHMARKT-Sonntagsgespräch anmerkte [mehr…], kann es darum auch beim Deutschen Buchpreis eigentlich gar nicht darum gehen, „den besten Roman des Jahres“ zu suchen und zu finden – als ob er sich quasi mit Zentimetermaß, Messuhr und Videoüberwachung ermitteln ließe. Man nutzt hier also die Möglichkeiten eines Literaturpreises als Marketing-Instrument, um Menschen zum Lesen von Literatur zu bewegen. Und so ist das in Ordnung,. Andererseits: Wirklich in Ordnung ist es auch nur, wenn im Zusammenhang damit eben eine öffentliche Beschäftigung und Diskussion über Literatur in Gang gesetzt wird.

Dazu bedarf es natürlich eben auch einer medialen Kakophonie – wie in Großbritannien Jahr um Jahr nach der Verkündung der Longlist des Booker. Wie sie bei uns in viel größerem Ausmaße als bisher auch zu wünschen wäre.

Dass – mal trefflich, mal weniger geschickt und gescheit – auch (betroffene) Autoren ihre Stimmen im Wind erheben: Klar doch, schließlich werden sie, jedenfalls in England, dazu von den Medien ja auch interviewt.

Selbst Verleger stoßen öffentlich Jauchzer oder (wenn ein Hoffnungsträger aus dem eigenen Stall nicht zum Zug kam) Klagelaute aus – warum denn nicht? Das würden schon ihre Autoren von ihnen erwarten.

Und natürlich sind auch Äußerungen von Jurymitgliedern des Man Booker in den Medien gefragt und dann mal mehr, mal weniger aufschlussreich.

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Sollten Verleger und Autoren da nun Anlass und Berechtigung haben, sich zu empören über Rainer Moritz, weil er – als diesjähriger Vorsitzender der Jury für den Deutschen Buchpreis – sich nicht eben positiv über die Longlist ausgelassen hat?

Diese Auslassung war auch nicht eben schicklich, ich wollte darüber eigentlich aber nicht schreiben und hätte eigentlich lieber den Schwamm drüber gezogen. Doch einige Anrufe waren dann schon sehr heftig, und Christian von Zittwitz erklärte: „Einer von uns muss die Sache aufgreifen und kommentieren!“ Ich glaube, am liebsten hätte er es selber getan. Nur hat er als Herausgeber und Chefredakteur dieser Zeitschrift manchmal, leider, wichtigere Dinge zu tun als solche Kommentare zu verfassen. Und dann meldeten sich Freunde – darunter sogar sonst eher besonnene Branchenteilnehmer – und drängten:. „Du musst es tun! Das ist wirklich die Höhe! Das ist doch ein Skandal!“

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Rainer Moritz, den ich seit langem persönlich kenne, hat mir dann jedoch eher leid getan.

In einer Jury zu sitzen – das ist nämlich kein Kinderspiel oder Zuckerschlecken Elmar Krekeler, der verantwortliche Redakteur der Literarischen Welt – er gehörte dieser Jury im vergangenen Jahr an – hat neulich offen bekannt, wie froh er ist, nicht schon wieder dabei sein gemusst zu haben.

Versetzen Sie sich doch mal in die Lage, 145 Romane lesen zu müssen. Und zwar gründlich, ganz genau, Seite für Seite, so dass man einem Mitjuror die oder jene Autorin auszureden vermöchte, für die können.

Und aus diesen schütteren Beweisen folgern zu wollen: „So trübselig sieht es aus in der deutschen Literatur“ – da wackelten doch die W—————————-7d82bfd20390
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