Beckmann kommtiert Einen echten Skandal, Teil 4: Grundsatzfragen, die infolge des Strukturwandels im Buchhandel vielleicht einmal offen angesprochen werden sollten

Warum räumen Verlage Großfilialisten drei- bis viermal höhere Einkaufsrabatte ein, als in den meisten anderen Branchen üblich sind? Und warum geben sie ihnen – obendrein – das in kaum einer anderen Branche auch nur vorstellbare Recht auf Remissionen, wie es für den traditionellen Buchhandel gedacht war?

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„Das große Ereignis in der Verlagswelt während der 1930er Jahre war kein sensationeller Bestseller, sondern die fatale Entscheidung, dass nicht verkaufte Bücher vom Sortiment an die Verlage zurückgeschickt werden konnten. Als die Vereinigten Staaten wirtschaftlich zusammenbrachen und die Weltwirtschaftskrise Wellen schlug, kam in Verlagen die Angst auf, dass als erste die Buchhändler untergehen könnten – möglicherweise war ihnen dies von den Buchhändlern in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben worden. Des Pudels Kern bestand darin, dass man keinen Titel ans Publikum zu verkaufen vermochte, wenn die Buchhändler nicht eine gewisse Menge Exemplare in ihr Sortiment aufnahmen, und falls die Buchhändler sich keine Bestellungen mehr leisten konnten, würden die Verlage ihre Arbeit an den Nagel hängen müssen.

Es ging letztlich um eine Frage des ‚Cash-flow’, obwohl dieser Terminus damals noch nicht gebräuchlich war. Doch als die Verleger den Blick über die furchterregende Szenerie der zerstörten Wirtschaft schweifen ließen, da schien ihnen die einzig mögliche Lösung des Problems in dem radikalen Schritt zu liegen, den Buchhändlern zu gestatten, ihre nicht verkauften Exemplare gegen eine Kreditgutschrift zu remittieren. Ein Buchhändler, der dazu überredet worden war, fünfzig Exemplare eines großen Romans zu ordern, von denen er aber nur zwanzig hatte abverkaufen können, durfte also seinen ‚Lagerüberbestand’ an den Verlag retournieren – die entsprechende Summe wurde ihm daraufhin beim Verlag gutgeschrieben. Diese Neuerung wurde zunächst – übrigens auf beiden Seiten – als Ausnahmemaßnahme verstanden, als Nothilfe, um die Buchhändler in den zunehmend heftigeren Stürmen der Wirtschaftskrise über Wasser zu halten.

Als die in den USA so genannte Great Depression sich über Jahre hinzog – und sie zog sich hin bis 1938/39, als der enorme Aufschwung der Rüstungsindustrie die Wirtschaft endlich wieder anzukurbeln begann – wurde die Praxis, die ursprünglich bloß als Notmaßnahme verstanden worden war, zum Dauerphänomen. Die Arbeitslosigkeit ging erst 1941 zurück, als Millionen junger Männer zum Wehrdienst eingezogen wurden. Wie so viele während der Great Depression eingeführte Praktiken wurde auch das Remissionsrecht bei Büchern zu einer festen Einrichtung, es wurde mit der Zeit institutionalisiert, als ob sie eine Kernvoraussetzung des Buchgewerbes wäre… Eins aber steht fest: Die Tatsache, dass einzelhändlerisch nicht verkaufte Bücher – im Unterschied zu den allermeisten sonstigen Produkten – an den Hersteller retourniert werden durften, hat das Verlagsgewerbe von Grund auf verändert.“

So schreibt Michael Korda in seiner Studie Making the List. A Cultural History of the American Bestseller 1900 – 1999.

Im deutschsprachigen Verlagswesen ist – wohl wahr – das Rückgaberecht seit Jahrhunderten Usus – freilich nicht in der von Michael Korda skizzierten neuartigen Form mengenweiser Schnell-Remissionen. Hat die auch bei uns erst mit der Bestselleritis um sich sich gegriffen?

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Nun hat seither bekanntlich ein Strukturwandel die Buchlandschaft völlig verändert. Wenn früher die Verlage im Vergleich zu Händlern das Übergewicht hatten, so sind es heute in fast allen Ländern die führenden Filialisten. Und der Strukturwandel greift weiter um sich. Das traditionelle Sortiment aber, für welche das Remittieren eingeführt wurde, geht auf Grund der Verdrängung durch die Großunternehmen „down under“.

Thalia wie die DBH allerdings machen einen dreimal höheren Umsatz als die größte Firmengruppe von Publikumsverlagen; die Mayer’sche liegt etwa gleichauf mit den nächsten Verlagsgruppen (Holtzbrinck und Bonnier). Und sie fordern mit dem Druck ihrer Marktmacht weiterhin höhere Rabatte. Diese Rabatte, Werbekostenzuschüsse, Boni etc inklusive, liegen weit über den Konditionen des alten, traditionellen Sortiments. Die Supermärkte (der angelsächsischen Welt, wo keine Buchpreisbindung existiert), verlangen noch höhere Rabatte, welche mittlerweile die Funktionsfähigkeit der Verlage bedrohen – in einer Höhe, die ihnen von Lieferanten anderer Branchen bei weitem nicht gewährt wird.

Da stellt sich – rein theoretisch – die Frage nach der Verhältnismäßigkeit ganz von selbst. Mehr noch: Höchstrabatte – wie sie in quasi keiner anderen Branche üblich sind – plus Remissionsrecht – das Händlern von Herstellern anderer Branche ebenfalls nicht gewährt wird: Ist das Mixen so eines solchen Cocktails nicht selbstmörderisch? Ist es für Hersteller auf Dauer durchstehbar? Ist es – gerade im Rahmen der Buchpreisbindung – vertretbar?

Die Frage erscheint aus einem anderen Grund noch triftiger. Es wurde Usus, dem Sortiment das Recht einzuräumen, nicht verkaufte Exemplaren en masse zu remittieren, nachdem die großen Verlage im Verdrängungswettbewerb untereinander ihre Spitzentitel massenhaft in die Buchhandlungen zu „drücken“ begannen. Einst wurde zudem frühestens zum Anfang jeder nachfolgenden Saison remittiert. Früher wurde jedoch frühestens ab Anfang der nachfolgenden Saison remittiert. Inzwischen beginnen Rücksendungen nicht verkaufter Exemplare manchmal schon nach vierzehn Tagen, nicht selten vier, sechs oder acht Wochen nach Eingang. Ist die alte Praxis eigentlich noch in Ordnung, wenn Bücher in der Auslage von Händlern zunehmend auf eine „Lebensdauer“ reduziert werden, die in etwa „der Haltbarkeit von Joghurt in Supermärkten“ (Jason Epstein) gleichkommt?

Anders formuliert: Wenn Bücher im Handel behandelt werden wie Konsumgüter in Supermärkten, müssten für solchen Handel dann nicht auch die Konditionen auf das gängige Supermarkt-Niveau herabgeschraubt und das Rückgaberecht zurückgenommen werden?

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Die Öffentlichkeit glaubt, im Buchgewerbe funktioniere der Handel so wie in anderen Branchen auch. Es klärt ja auch niemand die Öffentlichkeit über die Besonderheiten des Geschäfts mit Büchern auf. Durch den Skandal um den Grofilialisten Angus & Robertson [mehr…] [mehr…] [mehr…] ist in Australien die Öffentlichkeit hellwach geworden. Da gibt es nun endlich eine offene Debatte.

Zu dem oben angerissenen Thema hat sich z.B. ein gewisser MKL als Blogger im „Sydney Morning Herald“v zu Wort gemeldet, der sich offenbar in der ganzen Einzelhandelsszene aus kennt: Er schreibt:

„Als ich die Blogs las und einige Stimmen hörte, die sich zur Verteidigung von dem australischen Großfilialisten Angus & Robertson äußern, hatte ich den Eindruck, dass manche Verfasser schlicht die Fakten nicht wissen und deshalb annehmen, A & R kaufe anfangs tatsächlich seinen Lagerbedarf an Büchern ein. Dem ist aber nicht so. Er wird mit Vorräten zu einem hohen Rabatt (45% und mehr) beliefert, für die er nicht zu zahlen hat, wenn er sie nicht verkauft – dann kann A & R sie nämlich einfach an den Verlag zurück schicken.

Die Geschäftspraktik zwischen A & R und seinen Lieferanten folgt nun aber einer Grundidee: A & R wird mit Büchern zu solchem Rabatt in der einvernehmlichen Voraussetzung beliefert, dass er sie verkauft oder remittiert, UNTER DER VERPFLICHTUNG SEINERSEITS, DIE BÜCHER IN SEINEN LÄDEN AUSZUSTELLEN sowie (vermutlich) wenigstens zu versuchen, sie zu verkaufen. Daraus ergibt sich aber doch die Frage: Wo ist der Punkt, dass A & R versuchen dürfte, damit ‚durchzukommen’, Verlagen und Auslieferungen eine Gebühr dafür abzuverlangen, die gelieferten Titel (für die er nicht fest gezahlt hat), auch tatsächlich auszustellen – da solche Präsentation doch der Grund ist, warum er einen so hohen Rabatt erhält?

Im allgemeinen sieht es in der Welt so aus: Wenn man ein Einzelhandelsgeschäft führt, besteht ein wesentlicher Teil der Geschäftskosten im Ankauf des Sortiments bzw. eigenen Lagers. Buchhändler wie A & R haben es da relativ leicht, weil sie das Risiko eigener Lagerhaltung minimalisieren können, indem sie nicht verkaufte Ware einfach an den Verlag zurück schicken. Welch wundersamer Luxus, der in anderen Branchen unvorstellbar ist!

Falls man sich als Buchhändler dafür entscheidet, die Sache anderswie aufzuziehen und Verlage dafür zur Kasse zu bitten, dass man deren Erzeugnisse zum Verkauf präsentiert – nun ja, dann kann man das vermutlich auch so machen. Dann darf man jedoch nicht erwarten, dass man weiterhin den enorm hohen Rabatt von 45% aufwärts behält. Dann sollte man stattdessen den Rabatt von 45/50/55/60 Prozent senken auf 10/15 Prozent – was den generellen Kommissions-Prozenten entspricht, wie man sie in anderen vergleichbaren Branchen verdient.

Also, Angus & Robertson: Hören Sie auf, den Kuchen essen und konservieren zu wollen. Glauben Sie bloß nicht, dass die Leute Ihr Spiel nicht durchschauen. Sie probieren einfach bloß, im Lieferanten/Händler-Verhältnis die Grenzen zu verschieben und Ihren Passiv- in einen Aktivposten zu verdrehen. (Hallo! Wollen wir doch mal sehen, ob man sie nicht dazu kriegen kann, an uns zu zahlen statt umgekehrt, weil sie ja schließlich auf uns angewiesen sind!) Meinen Sie allen Ernstes, die Menschen seien so dumm, um diese neueste designer-schicke Betriebswirtschaftler-plus-Mafiataktik zu durchschauen?“

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Gerhard Beckmann freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de

Weitere Beiträge der Kolumne „Beckmann kommentiert“ finden Sie im Archiv unter dem Stichwort: „beckkomm“.

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