Eine lebendiger und sehr politischer Abend gestern in Berlin: Im Literaturhaus trafen sich die Mitglieder des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Landesverband Berlin-Brandenburg zur Jahreshauptversammlung. Der Vorsitzende, Argon-Geschäftsführer Kilian Kissling, konnte mehr als 50 Teilnehmer begrüßen.
Es sei keine besonders gute Zeit für die Branche, sagte er und nannte als Stichworte die Rückforderungen der Verwertungsgesellschaften, die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die politische und gesellschaftliche Entwicklung. „Seit dem Jahreswechsel laufen die Geschäfte nicht gut.“ Eine Ursache für die Zurückhaltung der Kunden könnte die Uniformität der Innenstädte sein, aber auch die politische Lage spiele eine Rolle. Die Lust durch die Stadt zu bummeln, habe spätestens seit den Anschlägen auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gelitten.
Dass die Branche gerne jammert, ist keine neue Erkenntnis. Aber diesmal geht es weniger um brancheninterne Sorgen. Die Themen seien vielmehr existenzieller Natur, so Kissling. „Ich habe das Gefühl, dass wir wieder für Werte kämpfen müssen, die wir für selbstverständlich hielten.“ Daher werde sich der Landesverband künftig noch stärker in gesellschaftliche Diskussionen einmischen, versprach er.
Der Landesverband Berlin-Brandenburg sei bodenständig, solidarisch, gut vernetzt und außergewöhnlich vor Ort engagiert, so Kissling. Die besondere Aktivität ist auch den beiden Geschäftsführern Johanna Hahn und Detlef Bluhm zu verdanken, die seit 15 Jahren als Doppelspitze agieren. Dafür gab es Blumen und viel Applaus. Trotz sinkender Umsätze der Branche konnte Schatzmeister Gerrit Schooff (Buchhandlung Zauberberg) ein positives Jahresergebnis 2016 melden. Der Verband kann sogar mehr als 12.00 Euro in die Rücklagen packen.
Nachdem der formelle Teil sehr zügig abgehandelt war, stand ein Weckruf der Gastrednerin Tanja Dückers auf dem Programm. Die Schriftstellerin macht sich Sorgen um die zunehmenden Bedrohungen von rechts gegen die Buchbranche und den Kulturbetrieb im Allgemeinen. Dabei nimmt sie Bedrohungen auf physischer und politischer Ebene wahr, sieht aber auch eine Gefahr in der Unterhöhlung des Kulturbetriebs durch angesehene Autoren und Intellektuelle, die den Rechtspopulisten in die Hände spielen. Buchhändlern riet Tanja Dückers sich ihrer großen Verantwortung bewusst zu sein, vor allem, wenn es um Bücher aus dem rechten Spektrum geht. Buchhandlungen seien Orte der Bildung und Wissensvermittlung zitierte sie Nina Wehner von der Buchhandlung Buchkönigin, die bei der im vergangenen Jahr gegründeten Initiative „Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“ mitmacht.
Der Landesverband will das schwierige Thema des gesellschaftlichen Engagements aber nicht nur theoretisch beleuchten, sondern auch Flagge zeigen für Meinungsfreiheit und kulturelle Vielfalt. Nicht zuletzt wegen der rechten Anschläge auf die Neuköllner Buchhandlung Leporello haben sich Mitglieder des Landesverbands Anfang des Jahres mit der Initiative „Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“ getroffen. Dabei ist die Idee zu einem Plakat entstanden, dessen Entwurf Martin Keune von der Werbeagentur Zitrusblau gestern zur Diskussion stellte. Man darf auf das finale Ergebnis gespannt sein, das – nach dem Wunsch des Vorstands – alle Buchhändler in ihren Geschäften einsetzen sollen.
Für alle, die gerade in Berlin sind: Am morgigen Freitag, 19 Uhr findet in der Buchhandlung Leporello in Neukölln eine Solidaritätslesung des Verbands der deutschen Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) statt. Mit dabei sind zehn Autoren, darunter Bov Bjerg, Nina Bußmann und Michael Wildenhain.
ml