Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Alexander Oetker?

Seit dem 6. Dezember (Nikolaustag) fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2022 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“. Heute beantwortet der Autor Alexander Oetker unseren „anderen“ Fragebogen:

Alexander Oetker: „Mehr lesen möchte ich darüber, dass die Welt eigentlich immer besser wird. Dass es mehr Klimaschutz gibt und mehr Erfindungen und mehr Menschenrechte – und dass wir endlich aus dieser Spirale des Missmutes ausbrechen können, in die wir seit Beginn der Pandemie (oder doch schon vorher?) stecken“

Welcher Tag war Ihr schönster in diesem Jahr?

Das war definitiv der 3. Oktober, denn an diesem Tag haben wir in Südwest-Frankreich das letzte Restaurant für unser Luc-Verlain-Kochbuch besucht und dort fotografiert. 30 Restaurants und 30 Köche – von drei Sternen bis zum einfachen Bistrot. Kochbuch – das klingt nach tollen Recherchen, nach Entspannung, gutem Essen und nach 20 Kilo mehr für den Autoren. Letzteres hat sich bewahrheitet – doch das Projekt selbst war der Vollstress: Mitten im Lockdown mit Köchen in verlassenen Restaurants Fotoshootings organisieren, dann hatte hier ein Koch Corona, dort war wieder Quarantäne – herrjeh. Aber nun sind alle Rezepte im Kasten – und das Buch „Chez Luc“ wird der Oberhammer.

Worüber haben Sie sich 2021 am meisten geärgert?

Über die Unfähigkeit der Politik, Entscheidungen zu treffen. Und den ganzen Sommer wieder zu verschlafen. Meine Oma Ilse (die aus „Und dann noch die Liebe“) musste wegen eines Quarantäne-Falls in ihrem Pflegeheim zwei Wochen in ihrem Zimmer eingesperrt sein, dort essen, rumsitzen, aus dem Fenster starren. Besuchsverbot inklusive. Und das zwei Jahre nach Beginn der Pandemie. Wie kann das sein, dass die Lernkurve so niedrig ist? Und dass stets die Kleinen und die Alten leiden? Ich kapiere es einfach nicht.

Was war 2021 Ihr schönster Erfolg?

Dass die Buchhändler meinen Genrewechsel mitgemacht haben und „Mittwochs am Meer“ zu einem der erfolgreichsten Sommer-Liebes-Romane der Saison gemacht haben. Das Buch erzählt von meiner Liebe zur Bretagne, das erste Ziel meiner Eltern und mir nach der Wende – im Trabi. Das war unvergesslich – und diese Liebesgeschichte über einen Mann, der immer Mittwochs in einen kleinen Küstenort fährt und dort die große Liebe findet, ist hoffentlich auch unvergesslich.

Und Ihr traurigster Misserfolg war…?

Dass ich es immer noch nicht geschafft habe, eine Modelleisenbahn auf meinem Dachboden zu installieren.

Ihre schönste Buchhandlung /Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?

Echt, das ist schwer: Weil ich bei all den Lesungen, die gottseidank wieder stattfinden durften, gesehen habe, was sich alle haben einfallen lassen, um die Kundinnen und Kunden in der Pandemie für das Lesen zu begeistern. Damit in der Bahn nicht mehr nur traurige, coronageplagte Menschen angstvoll aufs Handy starren. Das war echt eine Meisterleistung der ganzen Branche. Herausheben möchte ich die Buchversteigerung der Buchhandlung Kayser in Rheinbach, die über 15.000 Euro für die von der Ahr- und Erftflut betroffenen Buchhandlungen und für andere Flutopfer erzielt hat. Was für eine tolle Aktion.

Von welchem Thema wollen Sie (warum) im kommenden Jahr nichts mehr lesen?

Neulich saß ich vor meiner Lesung bei Leuenhagen & Paris bei einem Chinesen in Hannover. Alle Tische waren besetzt und die einzigen Worte, die durch den Raum flossen, waren: Corona, Lockdown, 2G, Impfung. Es war fürchterlich. Wir diskutieren hier wirklich jede Kleinigkeit im Detail und bis zur allgemeinen Ermüdung und dann passiert doch nichts –  und die Buchhändler müssen den Regelwust dann ausbaden. In Frankreich gibt es eine partielle Impfpflicht, im Restaurant zeigst Du deinen pass sanitaire vor und dann ist fertig. Und dann reden alle wieder nur noch übers gute Essen und nicht über Corona.

Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?

Darüber, dass die Welt eigentlich immer besser wird. Dass es mehr Klimaschutz gibt und mehr Erfindungen und mehr Menschenrechte – und dass wir endlich aus dieser Spirale des Missmutes ausbrechen können, in die wir seit Beginn der Pandemie (oder doch schon vorher?) stecken.

Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden Jahr vermeiden?

Mir täglich so viele Besprechungen in den Kalender zu packen, dass es schon Nachmittag ist, ich die Kids aus der Kita abhole und denke: „Upps, nicht ein Wort geschrieben.“

Und welchen Fehler werden  Sie trotzdem wiederholen?

Genau diesen. Ich liebe Besprechungen. Und mit meinen Verlegern Tim Jung und Daniel Kampa rede ich einfach zu gerne. Was Tim in dieser kurzen Zeit aus dem HoCa-Programm gemacht hat, ist so bemerkenswert – es ist wieder ein echtes Leseprogramm, bunt, spannend und vor allem freudvoll. Eine tolle Zeit, um Autor bei Hoffmann und Campe zu sein. Und Kampa – ist eben Kampa. Da muss man nicht viel sagen, außer: Wahnsinn, mit dem arbeiten zu dürfen.

Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr besonders viel Freude gemacht?

Silvia Avallones „Fotos meiner besten Freundin“. Ich liebte die Autorin schon bei „Sommer aus Stahl“, weil sie damals die junge Stimme Italiens war. Der neue Roman ist wieder Italien pur, ein Buch über Freundschaft, Verrat und Liebe – eine echte Antwort auf Ferrante.

Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?

Ich liebe sie alle: Schon im Januar erscheint mein Debütroman „Und dann noch die Liebe“ bei HoCa im Taschenbuch – die Flucht meiner Oma vor den Russen verbunden mit meinen Reportererlebnissen im Terrorjahr 2015. Im Frühjahr dann kommt bei Daniel Kampa der fünfte Lépic „Lacroix und der blinde Buchhändler von Notre Dame“ – eine Liebeserklärung an die Buchhändler am Ufer der Seine – und das Cover ist wieder so schön. Schließlich im Herbst der Doppelschlag: Im November erscheint der sechste Luc Verlain bei HoCa – und einen Monat vorher mein 20-Kilo-Gewichtszunahme-Werk: „Chez Luc“ – damit will ich nicht weniger vorlegen als das schönste Krimi-Kochbuch, das der deutschsprachige Buchhandel bisher gesehen hat.

Von wem würden Sie gern auch mal  die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?

Von Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, deren ganz private Sicht auf die Lage in ihrer Heimat Polen ich gerne mal lesen würde.

Und welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie gern beantwortet?

Welches war das beste Restaurant in ihrem neuen Kochbuch?

Hier können Sie die auch beantworten:Alle 30 Köche, die uns jeweils ein Menü aus der Aquitaine geschenkt haben, waren géniale. Aber  da gab es diese überbackenen Austern (und ich mag gar keine Austern) am Ufer von Cap Ferret. Da war nur drei Tage angesetzte Kräuterbutter drauf und ein wenig Semmelbrösel – der Fotograf und ich haben geweint vor Glück.

Gestern beantwortete Jürgen Brandt unseren „anderen“ Fragebogen, morgen fragen wir Katja Meinecke-Meurer.

 

 

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