Die Verleger-Blicke in den Editorials der Herbstvorschauen auf ihre jeweiligen neuen Programme und auf die Branche derzeit wollen wir in loser Folge mit Ihnen teilen. Hier heute das Editorial von Galiani-Verleger Wolfgang Hörner:
Liebe Kolleginnen und Kollegen in ungewohnter Lebenssituation,
Corona hat uns alle erwischt, irgendwie. Langsam merken wir, wie sich unser aller Leben auch längerfristig verändert. Was wir allerdings auch bemerken ist, dass gewisse Dinge bleiben: Die Menschen lesen, auch jetzt. Vielleicht sogar mehr als je. Und: Bücher sind gerade jetzt besonders wichtig.
Natürlich entstand das Herbstprogramm lange vor Corona – dass trotzdem zwei Bücher dabei sind, die ein wenig wirken, als seien sie ein Beitrag zur heutigen Lage, ist umso erstaunlicher. Hilmar Klutes neuer Roman Oberkampf spielt vor der Kulisse einer Stadt im Ausnahmezustand (freilich aus anderem Grunde) – die Geschäftigkeit und lebensfreudige Atmosphäre der Stadt (Paris) ist nach einem Anschlag wie weggeblasen; die Menschen, ihre Einstellungen und Pläne verändern sich, so mancher geht in sich und ordnet sein Leben neu.
Und der von Tobias Roth herausgegebene, prächtige Folioband Welt der Renaissance zeigt das großflächige Panorama einer Epoche, die mit einer katastrophalen Epidemie begann (ein Drittel der italienischen Bevölkerung wurde von der großen Pest von 1348 ausgelöscht) und die sich danach geistig, kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich neu sortierte und dann zur Grundlage des modernen Europa wurde. Ob das Buch als Anregungs- und Trostbuch in Coronazeiten taugt? Prüfen Sie selbst.
Auch sonst ist das Programm vielfältig und spannend: Jakob Hein, den wir eher als Schriftsteller kennen, berichtet in Hypochonder leben länger erstmals aus seinem (Berufs)Leben als Psychiater; Jan Koneffke liefert mit seinen wilden Tsantsa-Memoiren einen geschichtsprallen Roman, der ein höchst ungewöhnliches Stück deutscher Kolonialgeschichte aufarbeitet – mit dem ungewöhnlichsten deutschen Erzähler seit Oskar Mazerath; Michael Kleeberg schreibt in Glücksritter. Recherchen über meinen Vater eine Art deutsches Gegenstück zu Christian Baron und Didier Eribon; Kat Menschik und Mark Benecke liefern das wohl schönste und ungewöhnlichste Illustrierte Thierleben seit Brehm; Klaus Wallendorf schreibt in Zwischen Mundstück und Mikrofon. Aus den Papieren eines philharmonischen Hornisten eine Musikerbiografie der ganz anderen Art; Thomas Böhm stellt uns den Gründervater der Großstadtsoziologie Hans Ostwald vor und zeigt uns das brodelnde, gerade Metropole werdende Berlin (Berlin. Anfänge einer Großstadt. Szenen und Reportagen 1904-1908) und Manuel Menrath reiste lange, viel und weit in extrem abgelegene Regionen, um uns das Gastland der Frankfurter Buchmesse Kanada 2020/2021 aus einer höchst ungewohnten Perspektive zu zeigen: nämlich aus der jener Menschen, deren Vorfahren schon seit Jahrtausenden dort wohnten. Unter dem Nordlicht. Indianer aus Kanada erzählen von ihrem Land liefert ein völlig anderes Kanada-Bild als wir es kennen.
Machen wir das Beste aus Situation. Nutzen wir die Chancen der Veränderung und werden uns des Werts des Bleibenden neu bewusst – setzen wir uns also weiter und neu für spannende und wertvolle Autoren und Gedanken ein und halten wir den Kulturbetrieb am Laufen!
Mit herzlichem Gruß aus Berlin
Wolfgang Hörner, Esther Kormann und das Team von Galiani Berlin
Bisher brachten wir die Editorials von
Joachim von Zepelin und Christian Ruzicska,
Dr. Stephanie Mair-Huydts und Steffen Rübke,